von Gemeindeassistentin Judith Zehrer
Karfreitag – der Tag des Leidens, des Abgrunds, des Todes. Ostern – der Tag der tiefen Freude, der Befreiung, der Auferstehung. Und dazwischen: Nichts.
Was ist das bloß für eine Religion, in der Gott, der Vater, seinen Sohn solche Qualen durchleiden lässt, um ihn dann loszulassen und dem Tod zu übergeben? Warum lässt Gott solch eine Gottesferne zu, um dann wieder so nah zu sein, dass es uns überwältigt? Welcher Mensch kann diese Fragen hinreichend beantworten und erklären?
Jedes Jahr aufs Neue bekommen wir die Chance, das Osterereignis ein bisschen mehr zu verstehen, ein bisschen mehr Licht darin zu erkennen. Jesus hat den Tod auf sich genommen. Den hässlichsten und schlimmsten Tod, den man sich als Mensch vorstellen kann. Vermutlich war die körperliche Gewalt sogar weniger schwer zu ertragen als der Hass und die blanke Missachtung, die daraus sprach.
Jesus ist nicht davongelaufen. Er hat sich dem gestellt, was ihn erwartete. Das ist unglaublich mutig. Das verlangt menschliche Größe, Standhaftigkeit und Vertrauen in Gottes Nähe, auch in den Abgründen des menschlichen Seins. Jesus hat seiner Angst ins Gesicht gesehen und nicht weggeschaut. Er ist sehenden Auges von der Klippe gesprungen, in der Hoffnung, dass Gott ihn auffängt. Er ist bis in den Tod für das eingestanden, wofür er auf die Welt gekommen ist.
„Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege“, sagt Jesus zu Pilatus (Joh 18,37).
Jesus starb. Und dann kam das Nichts. Und das Nichts hat Zeit. Das ist schon bemerkenswert. Jesus hätte auch gleich auferstehen können. Das wäre doch eigentlich viel schöner gewesen, oder nicht? Anscheinend hat der Tod doch etwas zu sagen. Aber was? Das Leben kann und will den Tod nicht verstehen. Es ist tief enttäuscht von ihm, es trauert und schluchzt, ist sprachlos und wütend, es wird schwer und leer.
Vor ein paar Tagen durfte ich einer Beerdigung beiwohnen. Sie hat etwas Wundervolles in meinem Herzen bewegt. Die Trauer hatte mich überwältigt, obwohl ich den Toten kaum kannte. Und trotzdem erfüllte mich gleichzeitig eine solche Freude, ein solches Gottvertrauen im Singen der Loblieder, die der Tote sich für seine Beerdigung gewünscht hatte. Das Leben gehört also zum Tod dazu!
„Doch als sie hinblickten, sahen sie, dass der Stein schon weggewälzt war; er war sehr groß“ (Mk 16,4).
Von der Osternacht her betrachtet, ist der Karfreitag ein großes Geschenk! Er lässt uns auf den Grund gehen. Gestrandet schauen wir auf unser nacktes, blankes Menschsein. Wir schauen auf das, was übrig bleibt. In aller Wahrheit.
Dann lässt uns das Nichts hängen, einen ganzen Tag lang. In der Stille. Nackt, ausgehungert, verwundet und hilflos. Auf dem Grund. Blind vor Dunkelheit. Nichts. Mit dem Verlangen nach Mehr. Die Sehnsucht zu ergründen.
Und dann endlich kommt das Licht, das tief ersehnte. Es durchflutet uns mit Freude, mit Liebe, mit dem Leben in seiner ganzen Fülle. Wir sind im Tiefsten berührt, nur vollkommen mit ihm, zum Leben berufen. Was für ein Wunder!
Danke Gott, für diese drei Tage, die uns das Leben neu schenken!