von Gemeindereferentin Marita Kremper
Evangelium: Markus 1,14-20
14 Nachdem Johannes ausgeliefert worden war, ging Jesus nach Galiläa; er verkündete das Evangelium Gottes
15 und sprach: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!
16 Als Jesus am See von Galiläa entlangging, sah er Simon und Andreas, den Bruder des Simon, die auf dem See ihre Netze auswarfen; sie waren nämlich Fischer.
17 Da sagte er zu ihnen: Kommt her, mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen.
18 Und sogleich ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm nach.
19 Als er ein Stück weiterging, sah er Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und seinen Bruder Johannes; sie waren im Boot und richteten ihre Netze her.
20 Sogleich rief er sie und sie ließen ihren Vater Zebedäus mit seinen Tagelöhnern im Boot zurück und folgten Jesus nach.
Impuls
Der heilige Franz von Assisi lud die Menschen ein, sich in die Geschichte des Evangeliums hinein zu versetzen. So entstand unter seiner Anleitung das Krippenspiel. In ähnlicher Weise lädt die Methode des Bibliologs[1] Menschen heute ein, sich in die Geschichte des Evangeliums hinein zu begeben.
In unserer Bibelgruppe haben wir das bei unserem letzten Treffen mit dem heutigen Sonntagsevangelium getan. Wir stellten uns vor, mit dem Flieger vom Hamburger Flughafen an den See von Galiläa zu fliegen und eine Zeitreise ungefähr 2000 Jahre zurück zu unternehmen.
So kamen wir in der Landschaft von Galiläa am See Genezareth an. Wir sahen, wie die Fischer ihre Boote und Netze herrichteten und wir setzten uns zu ihnen. Alle waren eingeladen, sich in die Rolle des Simon hinein zu versetzen mit der Frage: „Simon, was denkst du, Jesus geht an dir vorbei und sieht dich?“ Jede und jeder konnte sich dazu äußern. Antworten wie: „Wer ist dieser Mann? Er hat eine besondere Ausstrahlung.“ Oder: „Ich kenne ihn nicht, aber seinen Blick habe ich gespürt.“
In einem weiteren Schritt wurden die Teilnehmer*Innen aufgefordert, sich in die Rolle von Simons Bruder Andreas hinein zu denken. Dabei wurden sie gefragt: „Andreas, wie geht es dir damit, dass Jesus dich auffordert ihm zu folgen?“ Es kamen Antworten wie: „Ich kann doch nicht einfach mit ihm gehen und die anderen hier allein lassen …“ oder: „Wer ist dieser Mann, dass er mich einfach auffordert, ihm zu folgen?“. Ein Mann meinte: „Das ist die Bestimmung von Jesus, er ist dazu gekommen, Menschen zu rufen, ihm zu folgen.“
Zuletzt versetzten sich die Teilnehmer*Innen in die Rolle des Vaters Zebedäus. Er wird gefragt: „Zebedäus, Jesus nimmt deine Söhne einfach mit. Wie geht es dir damit?“ Eine Teilnehmerin antwortete: „Wie kann dieser Mensch einfach meine Söhne hier wegholen. Sie helfen doch mit, die Familie zu ernähren. Ich bin alt. Wie soll es jetzt weitergehen?“. Ähnlich äußerten sich auch andere Frauen und Männer als Zebedäus: „Wer ist dieser Mensch? Wie kann es ohne meine Söhne weitergehen? Soll ich das einfach so akzeptieren?“.
Am Ende dieses Bibliologs begaben wir uns wieder in das Flugzeug und flogen in unserer Vorstellung nach Hamburg und in unsere heutige Zeit zurück. Allen Mitspielern wurde gedankt für ihr Mittun und ihre Stimme, die sie den Rollen gegeben hatten. Zum Abschluss hörten wir gemeinsam noch einmal den Text des Evangeliums und tauschten uns zu den Erfahrungen aus.
Was denken Sie? Wie geht es Ihnen, wenn Sie das lesen? Es ist eine andere Erfahrung, sich diese Geschichte vorzustellen und sich selbst darin zu erleben, als wenn sie nur vorgelesen und gehört wird.
Mit den eigenen Lebenserfahrungen und inneren Haltungen versetzen sich die Teilnehmer in eine Rolle der Geschichte. Dadurch werden die Erzählungen lebendig, anders und sehr unterschiedlich gedeutet. Dabei bleibt das Gesagte der einzelnen Teilnehmer unkommentiert stehen. Jede und jeder ist wichtig, mit ihren/seinen Erfahrungen. Das bewirkt ein neues Verständnis des Textes und es bewirkt ein anderes Nachdenken über Worte, Aussagen oder Handlungen der Figuren in der Erzählung. Die „frohe Botschaft“, das Evangelium, bekommt eine neue, frische Bedeutung für das eigene Leben, den eigenen Alltag, die eigenen Beziehungen, Sorgen und Nöte. Das ist es, was die Bibel letztlich in unser Dasein hineinbringen kann: eine frohe Botschaft für unser Leben und unseren Alltag. Das durften wir im Austausch und im Miteinander der Bibelgruppe erfahren.
Dann kann die Aufforderung Jesu: „Kommt her, mir nach!“ bewirken, dass ich frage: „Wer bist du Jesus, dass du eine solche Macht hast, mich aus meinem sicheren Bau hervorzulocken? Wer bis du, dass mich dein Wort so sehr berührt, als würdest du mich gut kennen?“ Wir dürfen gespannt sein – lassen wir uns überraschen!
[1] Auf der Homepage des Netzwerks für Bibliolog (www.bibliolog.org) heißt es: „Bibliolog ist ein Weg, die Bibel als lebendig und bedeutsam für das eigene Leben zu erfahren. Er beruht auf der jüdischen Auslegung des Midrasch.“