Impuls zum ersten Sonntag der Fastenzeit

Jordanische Wüste. Foto: Monika Tenambergen

Aus dem Heiligen Evangelium nach Lukas

Lk 4,1-13

1 Erfüllt vom Heiligen Geist, kehrte Jesus vom Jordan zurück. Er wurde vom Geist in der Wüste umhergeführt,

2 vierzig Tage lang, und er wurde vom Teufel versucht. In jenen Tagen aß er nichts; als sie aber vorüber waren, hungerte ihn.

3 Da sagte der Teufel zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl diesem Stein, zu Brot zu werden.

4 Jesus antwortete ihm: Es steht geschrieben: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.

5 Da führte ihn der Teufel hinauf und zeigte ihm in einem Augenblick alle Reiche des Erdkreises.

6 Und er sagte zu ihm: All die Macht und Herrlichkeit dieser Reiche will ich dir geben; denn sie sind mir überlassen und ich gebe sie, wem ich will.

7 Wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest, wird dir alles gehören.

8 Jesus antwortete ihm: Es steht geschrieben: Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen.

9 Darauf führte ihn der Teufel nach Jerusalem, stellte ihn oben auf den Tempel und sagte zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so stürz dich von hier hinab;

10 denn es steht geschrieben: Seinen Engeln befiehlt er deinetwegen, dich zu behüten;

11 und: Sie werden dich auf ihren Händen tragen, / damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt.

12 Da antwortete ihm Jesus: Es ist gesagt: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen.

13 Nach diesen Versuchungen ließ der Teufel bis zur bestimmten Zeit von ihm ab.

 

Impuls

von Gemeindereferentin Marita Kremper

Sie hat begonnen: die Fastenzeit.

Mit dem Aschekreuz am Aschermittwoch begann die vierzigtägige Vorbereitungszeit auf das wichtigste Fest unseres Glaubens, die Auferstehung Jesu Christi am Osterfest. Sechs Wochen bereiten wir uns nun auf ein Fest vor, das in seiner Bedeutung für den Glauben in unserer westlichen Gesellschaft scheinbar mehr und mehr an Relevanz verliert. Der Missbrauchsskandal in der Kirche und die Corona-Pandemie haben diese Situation noch verschärft. Und seit über einer Woche verfolgen wir in den Nachrichten, ob Zeitung, Fernsehen oder Internet, dass der russische Präsident seine Drohungen gegen die Ukraine wahrgemacht und die Grenzen in jeder Hinsicht überschritten hat. Jegliche Diplomatie und Verhandlungen sind bisher gescheitert.

„Der Teufel ist los“, so beginnt Franz Kamphaus sein Kapitel zum Evangelium des ersten Fastensonntags dieses Jahres (F. Kamphaus, „Den Armen eine frohe Botschaft“, Patmos 2021). Dieses Kapitel beginnt er mit der Frage: „Kennen wir uns eigentlich selbst?“ Diese Frage erscheint mir umso wichtiger, weil die Antwort letztlich über unser Denken und Handeln im Leben entscheidet.

Wohin treiben wir? Oder wohin lassen wir uns treiben? Wer oder was treibt uns an? Was ist das Ziel Ihres oder meines Lebens? Die Fastenzeit lädt uns jedes Jahr aufs Neue ein, auf Unnötiges zu verzichten und das Wesentliche in den Blick zu nehmen – sowohl in der Ernährung als auch im Handeln. Welch eine Chance liegt darin, sich immer wieder neu auf den Weg zu machen, das eigene Leben in den Blick zu nehmen und neu an der Spur Jesu Christi auszurichten! Denn dazu lädt ER selbst uns ein, umzukehren und Ihm nachzufolgen. Jesus selbst ist Beispiel (Joh 13,15) und Weg (Joh 14,6) zugleich.

In der Begegnung mit dem Teufel ist Jesus sehr klar:

Wegen des Hungers nach 40 Tagen in der Wüste könnte Jesus in seiner Macht als Gottessohn die Steine zu Brot verwandeln. Das versucht ihm der Teufel nahe zu legen. Jesus entgegnet dem Versucher mit einem Schriftwort aus dem Buch Deuteronomium: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“ (Dtn 8,3).

Auf das Angebot, ihm alle Reiche des Erdkreises mit all ihrer „Macht und Herrlichkeit“ zu geben, wenn Jesus vor dem Teufel niederfällt, antwortet Jesus: „Es steht geschrieben: Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen“ (Dtn 6,13).

Der Teufel aber ist nun schlau geworden. Nachdem Jesus ihm zweimal ein Schriftwort zitiert hat, kommt er mit einem frommen Spruch aus Psalm 91 daher, um Jesus ein drittes Mal zu verführen. Jesus aber bleibt in seiner Haltung klar und antwortet wieder mit einem Wort aus dem Buch Deuteronomium: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen“ (Dtn 6,16).

Was ist hier geschehen? Jesus hat hier nicht nur kluge Antworten „drauf“, mit denen er den Teufel abweisen kann. Hier geht es um mehr.

Wenn jemand in die Wüste geht, dann weiß er, dass dort nicht Menschen lauern, die ihn überfallen und ausrauben. In der Wüste begegnet der Mensch nur sich selbst – und vielleicht Gott. Das ist nicht unbedingt kuschelig und auch nicht bergend oder liebevoll. Das Schwerste, das es auszuhalten gilt, ist die eigene Person, das eigene Wesen, die eigene Prägung. Wer schon einmal nachts nicht schlafen konnte, kennt das „Gedankenkarussell“, das einen in solchen Zeiten überfällt. Dieses „Gedankenkarussell“ taucht vor allem dann auf, in denen von außen keine Ablenkungen, keine Forderungen, keine Arbeit die Aufmerksamkeit binden.

In Exerzitien, die man auch als Wüstenzeit bezeichnen kann, begegnet man diesem inneren Menschen. Und manch einer fragt sich vielleicht: Komisch, wo kommt das her? Bin ich das oder wer setzt mir solche Gedanken in den Kopf? Warum habe ich solche Emotionen? Es tauchen Ängste, Sorgen, Ärger, Wut, alte Verletzungen auf, von denen manch eine/r nicht wusste, dass sie in ihr/ihm schlummern. Und manch einer versucht durch Ablenkungen, Arbeit oder Suchtmittel davor wegzulaufen.

Die Fastenzeit ist keine Zeit der Exerzitien und dennoch lädt sie uns in gewisser Weise wie eine Wüste dazu ein, auf unwesentliche Dinge zu verzichten, um den wesentlichen Dingen Raum zu verschaffen – dem eigenen inneren Leben. Das erfordert Mut, Kraft und Entschiedenheit. Sich „Aus-Zeiten“ in kleinen Portionen zu gönnen kann eine ähnliche Wirkung haben wie Exerzitien: Man begegnet sich selbst in einer Weise, die nicht immer nur schmackhaft ist.

Hier beginnt der eigentliche Weg des Glaubens. Gott ist da. Seine „Gegenwart umhüllt und durchdringt uns, wie die Luft, die wir atmen, ohne die wir nicht leben können“, heißt es in einem Tagesgebet. (zitiert nach: Schott, Tagesgebete zur Auswahl, Nr. 5, S. 1254, Herder 1987) Diese Gegenwart Gottes ist reine Liebe. Er liebt uns, so wie wir sind – Sie und mich und jede/n von uns. Das zu glauben ist uns mit der Taufe nicht in die Wiege gelegt und fällt uns gerade in schwierigen Zeiten oft schwer. Es ist eine erwachsene Entscheidung, zu glauben, dass Gott uns liebt. Und es erfordert Mut, Kraft und Entschiedenheit. Jesus hat diese Kraft in den vierzig Tagen in der Wüste für sich gefunden, sonst hätte er dem Teufel nicht so gegenübertreten können.

Das ist die Einladung an uns in der Fastenzeit: Gott zu glauben, dass ER da ist. Auf unwesentliche Dinge zu verzichten und mir Auszeiten zu nehmen, um dem Wesentlichen in mir mehr Gehör zu verschaffen. Vielleicht entdecke ich dabei Dinge in mir, die mir guttun, die mich beleben, begeistern und zu neuem Leben führen. Es braucht die Stille und das Schweigen, um mich selbst, mein Inneres und alles darin wahrzunehmen und liebevoll da sein zu lassen. Wer sich selbst kennt und sich darin annehmen kann, ist einem Teufel vielleicht nicht mehr so wehrlos ausgeliefert.

Ein Satz ist mir in diesen Tagen in dem kleinen Buch „Herztöne“ von Martin Schleske: Geigenbauer begegnet, der mich beim Schreiben dieses Textes inspiriert hat:

„Ich sah ein brachliegendes Feld, auf dem all das wuchs, was wachsen wollte. Der ausgelaugte Mensch hat sich das Brachliegen verboten. Es ist wichtig, dass wir nicht nur hören, was wir sollen, sondern auch spüren, was wir wollen.“ (M. Schleske, Herztöne, adeo Verlag 2018).

Wer in der Nähe einer Kirche ist, ist herzlich eingeladen, in der Fastenzeit darin Augenblicke der Stille zu suchen.

Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Fastenzeit – beten wir gemeinsam um Frieden für die Ukraine!

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