von Pastor Stefan Krinke

Evangelium: Lukas 9,18-24
In jener Zeit 18 betete Jesus für sich allein und die Jünger waren bei ihm. Da fragte er sie: Für wen halten mich die Leute? 19 Sie antworteten: Einige für Johannes den Täufer, andere für Elija; wieder andere sagen: Einer der alten Propheten ist auferstanden. 20 Da sagte er zu ihnen: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Petrus antwortete: Für den Christus Gottes. 21 Doch er befahl ihnen und wies sie an, es niemandem zu sagen.
22 Und er sagte: Der Menschensohn muss vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohepriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden; er muss getötet und am dritten Tage auferweckt werden.
23 Zu allen sagte er: Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach. 24 Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten.
Predigt
„Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“[1] Das ist eine Frage, die nicht nur Jesus seinen Jüngern stellt. „Für wen hältst du mich eigentlich?“, sagen wir selbst des Öfteren, meistens dann, wenn jemand uns falsch einschätzt. In der Beurteilung des anderen wollen wir uns selbst wiederfinden, und zwar so wie ich bin, oder lieber noch ein bisschen besser. Auch wenn es oft unausgesprochen bleibt, lebt jeder Mensch von Lob und Tadel der Menschen um sich herum. Die Worte der anderen versetzen uns in Freude oder Traurigkeit. An ihnen merken wir, ob wir angenommen sind oder nicht.
Während einer Freizeit mit Jugendlichen über Silvester ging es u.a. um Rückblicke auf das vergangene Jahr und Ausblicke auf das Kommende. Dabei gab es in dieser Jugendgruppe einen schon lange gepflegten Brauch: man hängte zu Beginn der Tage eine Wäscheleine mit Briefumschlägen auf. Außen auf den Umschlägen standen die Namen der Teilnehmenden. Während dieser Tage konnten sie einander einen kurzen Gedanken, einen Wunsch oder eine persönliche Meinung, eine Sorge, ein Bild oder Kritik auf einen Zettel schreiben und in den Umschlag stecken. Gerade für vertraute Gruppen war dies eine Möglichkeit, den oder die andere ganz bewusst in den Blick zu nehmen. Dafür nahmen sich die Jugendlichen oft viel Zeit.
Ist es das, was Jesus mit seiner Frage bezweckt? Sollte er genauso menschlich reagieren wie wir und auf Lob oder Kritik angewiesen sein? Warum eigentlich nicht … Ich glaube aber, wir würden ihm Unrecht tun, wenn wir allein dies hinter seiner Frage vermuten. Jesus wusste sehr genau um seine Sendung, die für andere oft eine Provokation war. An ihm schieden sich bekanntlich die Geister.
Mir scheint, dass die Jünger Jesus mit ihrer ersten Antwort schmeicheln wollen. Denn sie wussten schon, dass es damals die Meinung gab, dieser Jesus sei ein Betrüger oder sogar Geisteskranker. Es gab ihm gegenüber sowohl Hass wie auch Begeisterung, Erschrecken und Bewunderung. Die Pharisäer waren wohl die Einzigen, die annähernd verstanden, was Jesus wollte, was sein Anspruch war – und fanden ihn unerträglich. Ihnen gegenüber standen die Jünger, die zwar voller Begeisterung für Jesus waren, ihn aber nicht immer verstanden.
Alle Titel wie ‚Gottessohn‘, ‚Christus‘ oder ‚Herr‘ können Jesus in seiner Ganzheit nicht einfangen. Es ist wie mit den Titeln bei uns: Man kann sie haben und tragen – aber sie sagen wenig über die Person. Vielmehr erzählen die Titel, die Jesus gegeben werden, von der Sehnsucht der Menschen: Sie sehnen sich nach göttlichem Beistand, nach der Befreiung aus ihrer Unterdrückung, nach dem Messias. So können sie durch die Person Jesu Gott in ihrem Leben spüren. Und je nachdem, was sie mit bestimmten Titeln verbinden, gestaltet sich ihre Verbindung mit Gott.
Es war, ist und bleibt schwierig, Jesus einzuordnen, man kann sich ihm nur glaubend nähern. Und dennoch: Wenn ich heute einen Umschlag – an Jesus Christus adressiert – füllen würde, was würde ich ihm schreiben auf seine Frage: „Und du, für wen hältst Du mich?“
[1] Lk 9,20