von Diakon Tobias Riedel
Liebe Schwestern und liebe Brüder!
Leider hören wir im Gottesdienst oft nur kurze Abschnitte aus der Heiligen Schrift, herausgerissen aus ihrem Kontext. So auch heute: Die wenigen Verse aus dem 1. Buch der Könige, die die Leseordnung für den heutigen Sonntag als erste Lesung vorsieht, sind isoliert betrachtet kaum verständlich. Gestatten Sie deshalb, dass ich den Text zunächst in seinen Zusammenhang einordne:
Im 9. Jahrhundert vor Christus hatte sich ein großer Teil des Volkes Israel von JHWH abgewandt, auch König Ahab und seine Frau Isebel. Stattdessen wird eine Gottheit namens Baal verehrt. Nur einige Propheten erheben dagegen ihre Stimme, allen voran Elija. Sein Name ist Programm: Er bedeutet übersetzt „Mein Gott ist JHWH“.
Damals herrscht ein lange Dürre im Nordreich Israel. Die Not ist groß, das Vieh findet keine Nahrung. Damit ist die Lebensgrundlage des Volkes bedroht, denn die Menschen lebten in erster Linie als Halbnomaden von der Viehzucht.
Für Elija ist die Sache klar: Die Dürre ist eine Strafe JHWHs, weil sein Volk ihm untreu ist. Er schlägt ein Gottesgericht vor: Die Priester des Baal und er sollen je einen Altar errichten und ein Rind für ein Brandopfer schlachten, aber kein Feuer entzünden. Dann sollen beide ihre Gottheit anrufen – der Gott, der mit Feuer antwortet, ist der wahre Gott.
Die Baalspriester lassen sich darauf ein: Sie rufen einen ganzen Tag lang Baal an, sie tanzen um den Altar, sie ritzen sich gemäß ihres Ritus blutig – doch alles bleibt still, keine Flamme lodert auf. Elija verspottet sie dafür – er sagt: Ruft lauter! Er ist doch Gott. Er könnte beschäftigt sein, könnte beiseite gegangen oder verreist sein. Vielleicht schläft er und wacht dann auf.[1] Doch nichts geschieht. Da ruft Elija das ganze Volk Israel zusammen und ruft JHWH an – und das Feuer lodert auf. Damit ist der Konflikt entschieden, das Volk wendet sich wieder JHWH zu, und Elija lässt alle Priester des Baal töten. Schon bald beginnt es zu regnen, die Dürre ist vorbei.
Mit der Hinrichtung der Baalspriester zieht sich Elija aber die Feindschaft der Königin zu, die nicht aus Israel, sondern aus Sidon stammt und am Baalskult festhält. Sie droht ihm: Binnen eines Tages bist du ein toter Mann.[2] Elija packt die Angst, er flieht in die Wüste, legt sich unter einen Ginsterstrauch und wünscht sich den Tod. Er ist am Ende, erschöpft schläft er ein … Doch ein Bote Gottes weckt ihn auf: Steh auf und iss! Sonst ist der Weg zu weit für dich.[3] Elija sieht Brot und Wasser, stärkt sich und wandert dann vierzig[4] Tage und Nächte lang bis zum Berg Horeb. Berge – das haben wir zuletzt vor einer Woche am Fest Verklärung des Herrn gesehen – sind in der Bibel oft symbolische Orte der Gottesbegegnung. Hier – am Berg Horeb – setzt die heutige Lesung[5] ein:
In jenen Tagen kam Elíja zum Gottesberg Horeb.
9ab Dort ging er in eine Höhle, um darin zu übernachten. Doch das Wort des Herrn erging an ihn:
11b Komm heraus und stell dich auf den Berg vor den Herrn! Da zog der Herr vorüber: Ein starker, heftiger Sturm, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, ging dem Herrn voraus. Doch der Herr war nicht im Sturm. Nach dem Sturm kam ein Erdbeben. Doch der Herr war nicht im Erdbeben.
12 Nach dem Beben kam ein Feuer. Doch der Herr war nicht im Feuer. Nach dem Feuer kam ein sanftes, leises Säuseln.
13 Als Elíja es hörte, hüllte er sein Gesicht in den Mantel, trat hinaus und stellte sich an den Eingang der Höhle.
Elija begegnet am Horeb JHWH. Diese Begegnung lässt ihn zu Kräften kommen, seine Lebenskrise ist überwunden. Er empfängt einen neuen Auftrag vom HERRN und bricht unverzüglich auf, um ihn auszuführen.
Soweit die heutige Lesung in ihrem Kontext. Dazu möchte ich Ihnen zwei Impulse mit auf den Weg geben.
Erstens: Für Elija ist klar: Die schwere Dürre, unter der das ganze Volk zu leiden hat, ist eine Strafe JHWHs für die Untreue Israels. Wir sind geneigt, solche Erklärungen zu belächeln. Einerseits auf wissenschaftlichen Gründen: Für uns als aufgeklärte Menschen ist klar, dass ein derartiges Wetterphänomen eine natürliche Ursache haben muss, Wetteranomalien gab es schließlich schon immer. Und auch aus theologischen Gründen schütteln wir mit dem Kopf, denn ein solches Verhalten JHWHs passt nicht zu unserem Bild eines gütigen, geduldigen, liebenden Gottes. Auch ich denke so – und doch frage ich mich, ob an der simplen kausalen Verknüpfung Elijas nicht etwas dran ist: Rund um das Mittelmeer brennt es in diesem Sommer lichterloh. Der Regen ist vielerorts ausgeblieben, die ausgedörrte Natur gibt den Flammen reichlich Nahrung. Gleichzeitig werden in diesen Tagen Österreich, Slowenien und Norwegen von ähnlichen Überschwemmungen heimgesucht, wie wir sie in Deutschland vor zwei Jahren im Ahrtal erleben mussten. Wir spüren: die Wetterextreme nehmen zu, der Klimawandel schreitet voran – menschengemacht. Natürlich ist er keine Strafe Gottes, sehr wohl aber eine Konsequenz unseres Verhaltens. Sind nicht auch wir falschen Göttern gefolgt? Sie heißen nicht Baal, sondern „freier Markt“, „Globalisierung“, „Wachstum“. Diesen Göttern abzuschwören hieße, unser ganzes Wirtschaftssystem neu zu denken: regionaler, nachhaltiger, bescheidener. Wir müssten unsere Ansprüche drastisch zurückschrauben – und wir müssten mit den Menschen der südlichen Hemisphäre teilen. Seit seiner Enzyklika Laudato si[6] fordert Papst Franziskus genau das immer wieder, und mit ihm unzählige Wissenschaftler und Organisationen. Doch wir hören es nicht gern, wenn man uns ins Gewissen redet. Auch Elija war unbeliebt … Wir rufen lieber weiter nach Baal und tanzen um den Altar.
Und doch macht mir – zweitens – trotz dieses pessimistischen Szenarios gerade die heutige Lesung Hoffnung. Denn uns wird darin ein Gott vor Augen gestellt, der liebevoll für die Menschen sorgt – und das nicht auf spektakuläre Weise, sondern in aller Stille. Denken wir zunächst an Elijas Flucht in die Wüste: Er ist fertig mit der Welt, hält sich für gescheitert, möchte sterben. Doch Gott sendet ihm seinen Engel, der ihn aus seiner Lebensmüdigkeit weckt und stärkt. Offensichtlich hat Gott nicht nur sein Volk als Ganzes im Blick, sondern auch der einzelne Mensch ist ihm kostbar. Am Berg Horeb dann zeigt sich Gott nicht in den Naturgewalten: nicht im Sturm, nicht im Erdbeben, nicht im Feuer, sondern – in der Stille. In der wunderbaren Übersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig lautet die entscheidende Passage wie folgt (bitte lesen Sie sich den Text möglichst laut vor!):
Da
vorüberfahrend ER:
ein Sturmbraus, groß und heftig,
Berge spellend, Felsen malmend,
her vor SEINEM Antlitz:
ER im Sturme nicht –
und nach dem Sturm ein Beben:
ER im Beben nicht –
und nach dem Beben ein Feuer:
ER im Feuer nicht –,
aber nach dem Feuer
eine Stimme verschwebenden Schweigens.
Es geschah, als Elijahu hörte:
er verhüllte sein Antlitz mit seinem Mantel,
er trat hinaus, stand am Einlaß der Höhle.
Da, eine Stimme an ihn,
es sprach:
Was willst Du hier, Elijahu?
So hoffe ich, dass Gott auch uns heute im Blick hat – jeden einzelnen Menschen und auch sein ganzes Volk, die Menschheit. Und ich hoffe, dass er – auch wenn der große Durchbruch zur Lösung der Klimakrise bisher ausbleibt – den Menschen beharrlich zu Herzen redet und so die Welt Schritt für Schritt zum Guten hin verwandelt. Nicht spektakulär, sondern auf SEINE Weise: in aller Stille.
Amen.
[1] 1 Kön 18,27
[2] vgl. 1 Kön 19,2
[3] 1 Kön 19,7
[4] Die Zahl Vierzig symbolisiert eine Prüfung: Vierzig Tage regnet es bei der Sintflut, vierzig Jahre dauert die Wüstenwanderung des Volkes Israel ins gelobte Land, vierzig Tage lang ist auch unsere christliche Fastenzeit …
[5] 1 Kön 19,9ab.11b-13
[6] Die Enzyklika wurde veröffentlicht am 24. Mai 2015.