Predigt zum 2. Fastensonntag

von Diakon Tobias Riedel

Lesung: Gen 22,1-2.9a.10-13.15-18

In jenen Tagen

1 stellte Gott Abraham auf die Probe. Er sprach zu ihm: Abraham! Er antwortete: Hier bin ich.

2 Gott sprach: Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst, Isaak, geh in das Land Morija, und bring ihn dort auf einem der Berge, den ich dir nenne, als Brandopfer dar.

9a Als sie an den Ort kamen, den ihm Gott genannt hatte, baute Abraham den Altar und schichtete das Holz auf.

10 Schon streckte Abraham seine Hand aus und nahm das Messer, um seinen Sohn zu schlachten.

11 Da rief ihm der Engel des Herrn vom Himmel her zu: Abraham, Abraham! Er antwortete: Hier bin ich.

12 Jener sprach: Streck deine Hand nicht gegen den Knaben aus, und tu ihm nichts zuleide! Denn jetzt weiß ich, dass du Gott fürchtest; du hast mir deinen einzigen Sohn nicht vorenthalten.

13 Als Abraham aufschaute, sah er: Ein Widder hatte sich hinter ihm mit den Hörnern im Gestrüpp verfangen. Abraham ging hin, nahm den Widder und brachte ihn statt seines Sohnes als Brandopfer dar.

15 Der Engel des Herrn rief Abraham zum zweiten Mal vom Himmel her zu

16 und sprach: Ich habe bei mir geschworen – Spruch des Herrn: Weil du das getan hast und deinen einzigen Sohn mir nicht vorenthalten hast,

17 will ich dir Segen schenken in Fülle und deine Nachkommen zahlreich machen wie die Sterne am Himmel und den Sand am Meeresstrand. Deine Nachkommen sollen das Tor ihrer Feinde einnehmen.

18 Segnen sollen sich mit deinen Nachkommen alle Völker der Erde, weil du auf meine Stimme gehört hast.

 

Predigt

Liebe Schwestern und liebe Brüder!

Der Text aus dem Buch Genesis, den wir gerade gehört haben, scheint grausam – so grausam, dass ich ihn jetzt nicht einfach übergehen möchte. Da ist von einem Gott die Rede, der ein Menschenopfer verlangt. Und von einem Vater, der tatsächlich bereit ist, seinen Sohn zu schlachten. „Weshalb steht ein solcher Text in der Bibel?“, könnte man fragen. Und: „Wenn ein solcher Text schon in der Bibel steht – weshalb dürfen wir ihn dann nicht wenigstens ignorieren wie so viele andere biblische Texte, von denen wir je kaum Notiz nehmen? Stattdessen zwingt uns die Leseordnung, ihn immer wieder im Gottesdienst anzuhören, alle drei Jahre am Zweiten Fastensonntag. Eine Zumutung ist das!“ So könnte man denken. Und in der Tat, der Text ist schwer verständlich – doch er lohnt die Auseinandersetzung.

Vor über dreitausend Jahren, als sich in Palästina einige Nomadenstämme zusammenschlossen und so das Volk Israel entstand, waren Menschenopfer im ganzen Nahen Osten[1] weit verbreitet. In der Bibel ist immer wieder davon die Rede, etwa im Zusammenhang mit dem Baalskult. Im Buch Jeremia heißt es zum Beispiel: Sie haben dem Baal Kulthöhen gebaut, um ihre Kinder als Brandopfer für den Baal im Feuer zu verbrennen.[2]Offensichtlich hatten die Menschen damals die Vorstellung, sie müssten den Segen der jeweiligen Gottheit durch Opfer erlangen – und zu opfern wäre das Kostbarste, das man hat, nämlich andere Menschen, vielleicht sogar Mitglieder der eigenen Sippe oder Familie, vielleicht sogar die eigenen Kinder.

Nur langsam, nach und nach, setzt sich das Volk Israel von diesen religiösen Praktiken ab. Wir sind heute Ohrenzeuge eines großen Schritts auf dem Weg ihrer Überwindung geworden: Für Abraham stellt der Auftrag Gottes, seinen Sohn Isaak zu opfern, zunächst vielleicht zwar eine Zumutung, aber doch nichts Undenkbares dar. Seinen dramatischen Wendepunkt erreicht der Text dann jedoch mit dem Ruf (um nicht zu sagen: Schrei) des Engels: Streck deine Hand nicht gegen den Knaben aus, und tu ihm nichts zuleide! Der Engel spricht aus, was wirklich der Wille Gottes ist: Er will das Leben der Menschen.[3]

Noch später reift in Israel dann die Erkenntnis, dass JHWH nicht nur Menschenopfer, sondern ganz allgemein sämtliche Schlacht- und Brandopfer – auch von Tieren – ablehnt. Das berühmte Zitat aus dem Buch Hosea markiert diesen Meilenstein der Gotteserkenntnis:  Denn an Liebe habe ich Gefallen, nicht an Schlachtopfern, an Gotteserkenntnis mehr als an Brandopfern.[4] Jesus wird dieses Prophetenwort später mehrfach zitieren: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer![5] Doch selbst zu Jesu Lebzeiten, 750 Jahre nach Hosea, war der Glaube an einen Gott, der durch Opfer gnädig gestimmt werden müsse, in großen Teilen des Volkes Israel[6] noch weit verbreitet. Die ganze Tempelwirtschaft mit ihren Viehhändlern und Geldwechslern lebte davon – und wurde von Jesus bekanntlich hart attackiert.[7]

Wir können den heutigen Lesungstext also ein Dokument des Entwicklungsprozesses des Gottesbildes des Volkes Israel verstehen. Doch der Text ist mehr als ein historisches Dokument: Er ist ‚Wort Gottes‘ – und hat damit er eine Relevanz auch für uns heute. Worin besteht sie?

Abraham hatte eine bestimmte Vorstellung von Gott: Er war überzeugt, Gott alles, sogar seinen eigenen Sohn, opfern zu müssen, sollte Gott es eines Tages von ihm verlangen. Und der Tag kam. Erst am Opferaltar, in der Begegnung mit Gott selbst, ausgedrückt im Bild des Engels, erkennt Abraham, dass seine Vorstellung von Gott falsch ist. Ihm wird schlagartig klar, dass Gott von uns nichts erwartet, was Seiner Natur widerspricht. An dem Schrei „Tu dem Knaben nichts zuleide!“ zerbricht Abrahams falsches Gottesbild.

Genau hier liegt die Relevanz des Textes für uns. Denn auch wir tragen unsere Gottesbilder in uns. Manche sind in Teilen richtig, andere grundfalsch. All diese Gottesbilder prägen unser Denken über Gott, unser Sprechen von Gott, vor allem: unsere Beziehung zu Gott. Wer – wie Abraham – zu einem reifen, erwachsenen Glauben vorstoßen möchte, kommt nicht umhin, sich mit den Gottesbildern, die ihn prägen, kritisch auseinander zu setzen.

Doch das ist leichter gesagt als getan: Denn woran kann man erkennen, ob ein Gottesbild „richtig“ oder „falsch“ ist?[8] Abraham wurde erst in der unmittelbaren Begegnung mit dem Engel klar, wie sehr er auf dem Holzweg war … Wir haben es da leichter, denn wir haben einen Maßstab: Jesus Christus. All unsere Gottesbilder müssen sich an ihm messen lassen. Der Evangelist Johannes meditiert diese Wahrheit immer wieder. Gleich zu Beginn seines Evangeliums, im Prolog, heißt es: Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht.[9] Mit anderen Worten, etwas flapsig formuliert: Niemand weiß, wie Gott ist – wer es aber wissen möchte, muss auf Jesus schauen. Und später, in der ersten Abschiedsrede, bringt Johannes dieses Gedanken noch einmal auf den Punkt. Dort sagt Jesus: Wer mich sieht, sieht den Vater.[10] Fazit: All unsere Gottesbilder müssen sich an Jesus messen lassen. Stimmen sie mit seiner Predigt, seinem Handeln, seinem Leben überein, so können wir sie getrost als „richtig“ betrachten. Widersprechen sie jedoch dem Geiste Jesu, seiner Barmherzigkeit, seiner Liebe, so dürfen, ja, müssen wir sie als falsch und irreführend verwerfen.

Ich lade Sie ein, sich in der Fastenzeit intensiv mit ihrem Gottesbild zu befassen. Welche Vorstellungen habe ich von Gott? Und stimmen diese Vorstellungen mit Jesus überein, wie er mir in den Evangelien begegnet? Diese Fragen meditierend, können wir unser Gottesbild klären und die ganze Schönheit unseres Glaubens neu entdecken. Eine bessere Vorbereitung auf das Osterfest kann ich mir nicht denken!

Amen.

[1] Tatsächlich kamen Menschenopfer in vielen alten Kulturen vor – nicht nur im Orient, sondern auch in unseren Breiten, man denke etwa an die Moorleichen, die man im Archäologischen Landesmuseum in Schleswig besichtigen kann: Während einige dieser Menschen wohl eines natürlichen Todes oder durch einen Unfall gestorben sind, ist bei anderen als Todesursache eine rituelle Opferung sehr wahrscheinlich.

[2] Jer 19,5

[3] Auffallend ist, dass Im Bibeltext zunächst von „Gott“ die Rede ist (Vers 1, 2 und 9a) – erst in Vers 11 wird der Gottesname JHWH (in der EÜ 2016 wiedergegeben mit „der Herr“) gebraucht. Ich vermute, dass das kein Zufall ist: Zunächst kommt die damals weit verbreitete tradierte Vorstellung (die auch Abraham teilt) zu Wort, dass man Gott Opfer bringen müsse, um ihn gnädig zu stimmen. Erst ab Vers 11 bricht sich das neue Gottesbild Bahn, zu dem das Volk Israel im Exil findet. Abraham erkennt, wie Gott wirklich ist – konsequenterweise ist nun von JHWH die Rede.

[4] Hos 6,6

[5] Mt 9,13 oder Mt 12,7

[6] insbesondere bei den Sadduzäern

[7] vgl. Mt 21,12 ff. par.

[8] Oder vorsichtiger formuliert: Woran soll man erkennen, ob ein Gottesbild einen bestimmten Aspekt des Geheimnisses, das wir „Gott“ nennen, mit menschlichen Worten eher zutreffend, klärend, erhellend oder eher unzutreffend, verunklarend, verdunkelnd beschreibt (vgl. auch KKK § 42 und 43)?

[9] Joh 1,18

[10] Joh 14,9

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