Predigt zum 2. Sonntag der Weihnachtszeit

von Diakon Tobias Riedel

„… dann werden sie sich auf Gott hin ausrichten wie eine Blume auf die Sonne.“ Foto: Pixabay

Evangelium: Johannes 1,1-18

1 Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. 2 Dieses war im Anfang bei Gott. 3 Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist. 4 In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. 5 Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst. 6 Ein Mensch trat auf, von Gott gesandt; sein Name war Johannes. 7 Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kommen. 8 Er war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht. 9 Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. 10 Er war in der Welt und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. 11 Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. 12 Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, 13 die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind. 14 Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit. 15 Johannes legt Zeugnis für ihn ab und ruft: Dieser war es, über den ich gesagt habe: Er, der nach mir kommt, ist mir voraus, weil er vor mir war. 16 Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade. 17 Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben, die Gnade und die Wahrheit kamen durch Jesus Christus. 18 Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht.

 

Predigt

Liebe Schwestern und Brüder!

Wenn wir das heutige Evangelium noch einmal Revue passieren lassen, fällt auf, dass darin vor allem von zwei Personen die Rede ist: Einerseits von Jesus, dem Christus – andererseits von Johannes, dem Täufer. Dass von Jesus die Rede ist, mag nicht weiter überraschen, schließlich ist er die Hauptperson des Evangeliums, oder besser: Er ist das Evangelium. Aber warum gerade Johannes der Täufer? Es scheint etwas zu geben, das die beiden verbindet – und gleichzeitig scheint Johannes besonders geeignet zu sein, die Einzigartigkeit Jesu aufstrahlen zu lassen. Jesus und Johannes – um diese beiden soll es in dieser Predigt gehen.

Zunächst zu Johannes. Was ist er für ein Mensch? Was zeichnet ihn aus? Die Evangelien beschreiben ihn mit den typischen Attributen eines Propheten: Er tritt in der Wüste[1] auf, die von alters her als Ort der Gottesbegegnung gilt. Er lebt asketisch, bekleidet nur mit einem Gewand aus Kamelhaar, sich ernährend von Heuschrecken und wildem Honig.[2] Und er hat eine klare Botschaft: Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso. An die Zöllner gewandt, fordert er: Verlangt nicht mehr, als festgesetzt ist. Und den Soldaten schleudert er entgegen: Misshandelt niemand, erpresst niemand, begnügt euch mit eurem Sold![3] In seiner Rhetorik ist Johannes nicht zimperlich. Er begnügt sich nicht damit, den Menschen unbequeme Wahrheiten zu sagen – er droht ihnen das Gericht Gottes an: Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gelehrt, dass ihr dem kommenden Gericht entrinnen könnt? Bringt Früchte hervor, die eure Umkehr zeigen.[4] Und seine Zuhörer? Sind sie verschreckt? Nein – sie sind fasziniert: In Scharen[5] ziehen sie zu Johannes in die Wüste hinaus, um seiner Predigt zu lauschen und sich als Zeichen der Umkehr taufen zu lassen. „Endlich sagt uns mal einer, wo’s lang geht“, mögen sie gedacht haben. „Ein Mann mit Charakter. Mit einer Botschaft.“

Wenn wir auf den Inhalt der Predigt des Johannes schauen, wären Jesus und er sich sicherlich rasch einig. Auch Jesus hat zum Teilen aufgefordert. Und doch ist seine Predigt vollkommen anders. Jesus droht seinen Zuhörern nicht – er erzählt ihnen Geschichten. Mit dem Himmelreich ist es wie …[6] Sie merken sofort: Jesus schlägt einen ganz anderen Ton an.

Welcher der beiden Prediger hatte wohl mehr Erfolg? Eine provokante Frage … Wir haben gehört, dass die Menschen in Scharen zu Johannes strömten, um sich taufen zu lassen. Sicherlich stiegen sie voller guter Vorsätze aus dem Wasser des Jordan; willens, ein neues Leben anzufangen. Doch wie nachhaltig war ihre Umkehr? Ich vermute, dass es nicht allzu lange dauerte, bis sie wieder rückfällig wurden. Denn ich kenne das von mir selbst von jedem Jahreswechsel: Was habe ich mir zu Silvester nicht schon alles vorgenommen! Mehr Sport, weniger Essen, mehr Zeit für die Kinder … Manchmal haben diese Vorsätze eine Zeit lang gehalten, ein paar Wochen oder Monate, mit großer Kraftanstrengung … Doch im Innersten verändert habe ich mich so nicht.

Jesus kennt den Menschen besser. Er weiß, woher die Bosheit des Menschen kommt: Sie resultiert nicht aus einem Mangel an guten Vorsätzen, sondern aus einem Mangel an Liebe. Und diesen Mangel kann man nicht beheben durch moralische Appelle und ethische Vorschriften. Wenn man möchte, dass ein Mensch, der sich in Schuld verstrickt hat – wie die Zöllner oder die Soldaten – dauerhaft einen neuen Anfang machen kann, dann helfen Mahnungen und Drohungen gar nichts. Denn gegen Lieblosigkeit hilft nur Liebe. Darum geht es Jesus in seiner Predigt: Er möchte, dass seine Zuhörer spüren, dass sie berechtigt sind. Dass sie sich aufrichten, dem Licht entgegen. Dass sie ihre Würde wiederentdecken. Dass sie – kurz gesagt – Gottes Nähe spüren. Diese Erfahrung der Nähe Gottes ist es, die Menschen von Grund auf verändert.

Wenn wir diesen Gedanken ernst nehmen – was hat er dann für Konsequenzen für uns persönlich? Ich denke, wir sind gut beraten, wenn wir uns für das neue Jahr nicht allzu viel vornehmen – nur eines: Gott zu suchen. Natürlich kann man die Erfahrung der Nähe Gottes nicht ‚machen‘, sie ist immer unverfügbares Geschenk. Doch andererseits gibt Gott selbst uns die Zusage: Sucht ihr mich, so findet ihr mich. Wenn ihr von ganzem Herzen nach mir fragt, lasse ich mich von euch finden – Spruch des Herrn.[7] Oder, um es mit den Worten des Heiligen Johannes vom Kreuz zu sagen: Wenn der Mensch Gott sucht – viel mehr noch sucht Gott den Menschen. Wir dürfen also zuversichtlich aufbrechen, hinein ins Jahr 2026, Gott entgegen. Und die Begegnung mit IHM wird uns verändern – nicht nur punktuell, sondern von Grund auf, zum Guten hin, zur Liebe hin.

Ich denke, der Unterschied zwischen Johannes und Jesus ist nun offensichtlich: Der Täufer setzt auf ethische Appelle, durch sie soll der Mensch sich bessern. Jesus hingegen setzt auf die Erfahrung der Nähe Gottes, die in ihm selbst erfahrbar ist. Und er weiß: Auf diese Erfahrung kommt es an, sie verändert alles.

Dieser Gedanke ist nicht neu – schon das Volk Israel, dem Jesus ja angehörte, hat so gedacht: Die zehn der Gebote der Tora waren weniger ein moralischer Imperativ als eine Verheißung, abhängig von einer gelingenden Beziehung zu JHWH. Dann wird – um nur ein Beispiel zu nennen – aus dem ethischen Appell des fünften Gebots „Du sollst nicht töten“[8] eine Verheißung des Heils: Wenn ihr in Beziehung mit JHWH lebt, dann wird es unter euch keinen Mord und Totschlag mehr geben. Was für ein Versprechen!

Wir sehen: Die Gottesbeziehung geht der Ethik voraus. Wenn – um es mit einfachen Worten zu sagen – „zwischen Gott und mir etwas läuft“, ergibt sich die Ethik von selbst. Und wenn die Gottesbeziehung gestört ist, bleiben alle menschlichen Bemühungen, sich zu bessern, letztlich fruchtlos.

Was bedeutet das nun für uns als Gemeinschaft, als Gemeinde, als Kirche? Ich denke, vor allem eines: Die Kirche ist nicht in erster Linie eine moralische Institution, sondern eine Weggemeinschaft, in der und durch die Gottes Liebe erfahrbar werden soll. Leider ist die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit oft genau umgekehrt. Die Kirche, so heißt es dann wohlmeinend auch von Agnostikern, habe die wichtige Aufgabe, Werte zu vermitteln. Mag sein. Viel wichtiger ist es aber, Wärme zu vermitteln, die Liebe Gottes in der Welt sichtbar zu machen. Wir alle, die wir gemeinsam Kirche sind, sollten der Versuchung widerstehen, mit dem moralischen Zeigefinger anderen sagen zu wollen, was sie zu tun und zu lassen haben. Sie werden es nicht verstehen. Und sie werden es nicht annehmen. Wenn sie aber durch uns spüren, dass sie von Gott geliebt sind, dann werden sie sich auf Gott hin ausrichten wie eine Blume auf die Sonne.

Amen.

[1] Lk 3,2

[2] Mk 1,6

[3] Lk 3,11 ff.

[4] Lk 3,7f

[5] Lk 3,7

[6] vgl. Mt 13,24; 13,31; 13,33; 13,44 etc.

[7] Jer 29,13 f.

[8] Ex 20,13

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