Predigt zum 3. Fastensonntag A

von Diakon Tobias Riedel

Brunnen in der tunesischen Sahara. Foto: Monika Tenambergen

Evangelium: Joh 4, 5-42

In jener Zeit

5 kam Jesus zu einer Stadt in Samárien, die Sychar hieß und nahe bei dem Grundstück lag, das Jakob seinem Sohn Josef vermacht hatte.

6 Dort befand sich der Jakobsbrunnen. Jesus war müde von der Reise und setzte sich daher an den Brunnen; es war um die sechste Stunde.

7 Da kam eine Frau aus Samárien, um Wasser zu schöpfen. Jesus sagte zu ihr: Gib mir zu trinken!

8 Seine Jünger waren nämlich in die Stadt gegangen, um etwas zum Essen zu kaufen.

9 Die Samaríterin sagte zu ihm: Wie kannst du als Jude mich, eine Samaríterin, um etwas zu trinken bitten? Die Juden verkehren nämlich nicht mit den Samarítern.

10 Jesus antwortete ihr: Wenn du wüsstest, worin die Gabe Gottes besteht und wer es ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, dann hättest du ihn gebeten und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben.

11 Sie sagte zu ihm: Herr, du hast kein Schöpfgefäß und der Brunnen ist tief; woher hast du also das lebendige Wasser?

12 Bist du etwa größer als unser Vater Jakob, der uns den Brunnen gegeben und selbst daraus getrunken hat, wie seine Söhne und seine Herden?

13 Jesus antwortete ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen;

14 wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zu einer Quelle werden, deren Wasser ins ewige Leben fließt.

15 Da sagte die Frau zu ihm: Herr, gib mir dieses Wasser, damit ich keinen Durst mehr habe und nicht mehr hierherkommen muss, um Wasser zu schöpfen!

16 Er sagte zu ihr: Geh, ruf deinen Mann und komm wieder her!

17 Die Frau antwortete: Ich habe keinen Mann. Jesus sagte zu ihr: Du hast richtig gesagt: Ich habe keinen Mann.

18 Denn fünf Männer hast du gehabt und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann. Damit hast du die Wahrheit gesagt.

19 Die Frau sagte zu ihm: Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist.

20 Unsere Väter haben auf diesem Berg Gott angebetet; ihr aber sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten muss.

21 Jesus sprach zu ihr: Glaube mir, Frau, die Stunde kommt, zu der ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet.

22 Ihr betet an, was ihr nicht kennt, wir beten an, was wir kennen; denn das Heil kommt von den Juden.

23 Aber die Stunde kommt und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn so will der Vater angebetet werden.

24 Gott ist Geist und alle, die ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten.

25 Die Frau sagte zu ihm: Ich weiß, dass der Messias kommt, der Christus heißt. Wenn er kommt, wird er uns alles verkünden.

26 Da sagte Jesus zu ihr: Ich bin es, der mit dir spricht.

27 Inzwischen waren seine Jünger zurückgekommen. Sie wunderten sich, dass er mit einer Frau sprach, doch keiner sagte: Was suchst du? oder: Was redest du mit ihr?

28 Die Frau ließ ihren Wasserkrug stehen, kehrte zurück in die Stadt und sagte zu den Leuten:

29 Kommt her, seht, da ist ein Mensch, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe: Ist er vielleicht der Christus?

30 Da gingen sie aus der Stadt heraus und kamen zu ihm.

31 Währenddessen baten ihn seine Jünger: Rabbi, iss!

32 Er aber sagte zu ihnen: Ich habe eine Speise zu essen, die ihr nicht kennt.

33 Da sagten die Jünger zueinander: Hat ihm jemand etwas zu essen gebracht?

34 Jesus sprach zu ihnen: Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und sein Werk zu vollenden.

35 Sagt ihr nicht: Noch vier Monate dauert es bis zur Ernte? Sieh, ich sage euch: Erhebt eure Augen und seht, dass die Felder schon weiß sind zur Ernte!

36 Schon empfängt der Schnitter seinen Lohn und sammelt Frucht für das ewige Leben, sodass sich der Sämann und der Schnitter gemeinsam freuen.

37 Denn hier hat das Sprichwort recht: Einer sät und ein anderer erntet.

38 Ich habe euch gesandt zu ernten, wofür ihr euch nicht abgemüht habt; andere haben sich abgemüht und euch ist ihre Mühe zugutegekommen.

39 Aus jener Stadt kamen viele Samaríter zum Glauben an Jesus auf das Wort der Frau hin, die bezeugt hatte: Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe.

40 Als die Samaríter zu ihm kamen, baten sie ihn, bei ihnen zu bleiben; und er blieb dort zwei Tage.

41 Und noch viel mehr Leute kamen zum Glauben an ihn aufgrund seiner eigenen Worte.

42 Und zu der Frau sagten sie: Nicht mehr aufgrund deiner Rede glauben wir, denn wir haben selbst gehört und wissen: Er ist wirklich der Retter der Welt.

 

Predigt

Liebe Schwestern, liebe Brüder!

Das heutige Evangelium vom Gespräch Jesu mit der Frau am Jakobsbrunnen ist wohl einer der tiefgründigsten Texte der Heiligen Schrift. Es ist ein Text, den man nie ganz verstehen wird, der immer eine Herausforderung bleibt. In der Predigt heute möchte ich Sie nur auf einige Aspekte hinweisen, die uns vielleicht den Zugang erleichtern können.

Erstens: Sehnsucht. Der Text berichtet von einer Frau, die zum Brunnen geht, um Wasser zu schöpfen. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches. Wasser ist bekanntlich lebensnotwendig, und seine mühsame Beschaffung ist bis heute in vielen Teilen der Welt – so ungerecht das auch sein mag – Frauensache. Ungewöhnlich ist allerdings die Tageszeit, zu der sich die Frau zum Brunnen aufmacht: „Es war um die sechste Stunde“,[1] also um zwölf Uhr mittags. Kein Mensch geht ausgerechnet in der Mittagshitze zum Brunnen, um anschließend die schweren Schöpfgefäße in der sengenden Sonne nach Hause zu schleppen – das macht man in der Kühle des Morgens oder bei Sonnenuntergang, dann ist das ganze Dorf auf den Beinen, dann wird der Brunnen zu einem belebten Treffpunkt. Weshalb also macht sich diese Frau mittags auf den Weg? Vielleicht, so denke ich, weil sie niemanden treffen möchte, weil sie die anderen Dorfbewohner meidet – vielleicht auch, weil sie selbst gemieden wird. Der Text gibt uns einen Hinweis, der diese Lesart plausibel macht: „Fünf Männer hast du gehabt“, sagt Jesus ihr auf den Kopf zu. Dass menschliche Beziehungen zerbrechen können, ist bekannt – aber gleich fünf? So ein Lebenswandel wird gesellschaftlich in der Regel nicht toleriert. Vielleicht ist die Frau im Dorf verschrien, und dieses Stigma lässt sie die Gesellschaft anderer Menschen meiden … Interessanterweise verurteilt Jesus die Frau nicht, er benennt nur das Faktum, wertet aber nicht – denn er sieht tiefer. Er erkennt, dass alle Versuche der Frau, ihr Glück zu finden durch Partnerschaft oder Familie, gescheitert sind, ja, scheitern mussten – denn diese Frau ist von einer tiefen Sehnsucht erfüllt, die sich so nicht stillen lässt. Ihr ganzes Leben ist, im Bild gesprochen, ein einziger Weg zum Brunnen. Wer wird ihren Durst stillen?

Zweitens: Grenzüberschreitung. Die Samariterin hatte, so unsere Hypothese, darauf spekuliert, dass sie am Brunnen allein sein würde. Doch nun sitzt da ein fremder Mann, und der spricht sie sogar an. An der Sprache merkt sie sofort: Das ist kein Samariter, der Mann kommt aus Galiläa, ein Jude also … Jesus missachtet mit seinem Verhalten alle Konventionen. Es fängt damit an, dass er als Jude überhaupt samaritischen Boden betritt. „Die Juden verkehren nämlich nicht mit den Samaritern“,[2] schreibt der Evangelist vornehm für seine griechischsprachigen, nicht ortskundigen Leser. Die Wahrheit ist viel hässlicher: Juden und Samariter hatten sich damals ungefähr so lieb wie Deutsche und Franzosen 1917 … Es herrschte tiefe Feindschaft, wenn nicht der blanke Hass.[3] Wenn Jesus sich korrekt verhalten hätte, hätte er nie diesen Weg wählen dürfen. Doch nicht nur das: Hinzu kommt, das Jesus als Mann eine Frau anspricht – ein weiterer Tabubruch. Man kann der Frau ihre Entrüstung deutlich anmerken, und auch die Jünger sind irritiert: „Sie wunderten sich, dass er mit einer Frau sprach“,[4] heißt es später. Wir sehen: Jesus lässt sich durch Konventionen oder Feindschaft zwischen Gruppen von Menschen nicht beirren. Er sieht immer zuerst den einzelnen Menschen und seine Not, seinen Lebensdurst … Jesus offenbart sich so als der, der er ist: Der Retter der Welt.[5] Denn er nimmt keine menschliche Perspektive ein, schlägt sich nicht auf die eine oder andere Seite, sondern sieht die Menschen mit den Augen Gottes – als die geliebten Kinder seines Vaters.

Drittens: Lebendiges Wasser. In der trockenen, mitunter wüstenartigen Landschaft Palästinas gab es zur Zeit Jesu zwei Möglichkeiten, den täglichen Wasserbedarf zu decken: Viele Menschen waren auf Zisternen angewiesen, also auf mehr oder weniger große Behälter, in denen Regenwasser gesammelt wurde. Doch dieses System hatte große Nachteile: Zum einen konnte in langen Dürreperioden die Zisterne austrocknen, und dann war die Not groß. Zum anderen schmeckt Wasser aus Zisternen oft abgestanden und schal, es kann sogar verkeimen und dann Krankheiten verursachen. Glücklich war deshalb, wer Zugang zu einem Brunnen oder einer Quelle hatte: Aus wasserführenden Schichten fließt hier stetig frisches, sauberes, eben „lebendiges“ Wasser nach. So wird in der Bildwelt der Bibel der Brunnen oft als Symbolort verstanden: Als ein „Ort“, an dem Menschen in Kontakt sind mit sich, mit anderen, mit Gott. Als ein Sehnsuchtsort. Als ein Ort, an dem Gott selbst allen Lebensdurst stillt.[6]

Die Frau kommt zum Brunnen, einfach weil sie Durst hat. Doch dort trifft sie Jesus. Im Gespräch mit ihm beginnt sie zu ahnen, dass er ihr viel mehr geben kann als H2O:
Er ist es, der ihre tiefste Sehnsucht stillen kann. Sie bittet ihn darum[7] – und er weist sie nicht ab.

Ein Loblied auf die Sehnsucht möchte ich singen. Denn was treibt die samaritische Frau? Es ist eben diese Sehnsucht nach „Leben in Fülle“.[8] Letztlich ist es Gott selbst, sein guter Geist, der uns lockt, ihn zu suchen. Das ist sicherlich manchmal unbequem: Es wäre einfacher, sich im Leben häuslich einzurichten, mit fünf Männern sozusagen, sich spirituell auf die faule Haut zu legen. Ich wünsche uns jedoch, dass wir dieser Versuchung nie erliegen. Denn nur die Sehnsucht wird uns zum Brunnen führen – zu Jesus selbst – und durch ihn zum Vater. Im heutigen Evangelium finden wir dafür ein Vorbild: Die samaritische Frau am Jakobsbrunnen. Vielleicht sollte man sie heiligsprechen.

Amen.

[1] Joh 4,7

[2] Joh 4,9

[3] Dieses Motiv begegnet uns z.B. auch in Lk 10,25-37: Die Sprengkraft dieses Textes liegt wesentlich darin, dass das Gesetz JHWHs zur Barmherzigkeit ausgerechnet durch einen Samariter erfüllt wird, nachdem ein Priester und ein Levit es mit Füßen getreten haben …

[4] Joh 4,27

[5] Joh 4,42

[6] vgl. Ps 42,2: „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele, Gott, nach dir.“ – Ps 63,2: „Gott, du mein Gott, dich suche ich, meine Seele dürstet nach dir. Nach dir schmachtet mein Leib wie dürres, lechzendes Land ohne Wasser.“

[7] Joh 4,15

[8] Joh 10,10

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