Jeden Samstagmorgen landet in meiner Inbox der Newsletter von ZEIT-ONLINE. Jeden Samstagmorgen heißt es: Nur gute Nachrichten und Inspirierendes zum Wochenende. In der letzten Ausgabe hat mich eine Geschichte ganz besonders berührt. Es ist die Geschichte der Flüchtlingsfamilie al-Nazzal aus Syrien mit Happy End oder besser gesagt mit Restart. Ins Rollen kam alles durch einen Schnappschuss des Fotojournalisten Mehmet Aslan in einem Flüchtlingslager an der türkischen Grenze zu Syrien. Darauf sieht man Munzir al-Nazzal mit seinem fünfjährigen Sohn Mustafa beim Spielen im Hof ihrer bescheidenen Unterkunft. Vater und Sohn sind beide kriegsversehrt. Munzir wurde durch eine Bombe auf dem Markt in Idlib das rechte Bein abgerissen. Mustafa wurde ohne Arme und Beine geboren, weil seine Mutter Zeynep während der Schwangerschaft einem Giftgasangriff ausgesetzt war. Ob durch das Giftgas oder durch die Medikamente mit denen Zeynep danach behandelt wurde, der Angriff führte dazu, dass Mustafa ohne Gliedmaßen zur Welt kam.
Das Foto von Mehmet Aslan wurde im Oktober 2021 mit dem „Siena International Photo Award“ als Foto des Jahres prämiert und seitdem rund um die Welt auf allen Social-Media-Kanälen geteilt. (Anm.: Die Pfarrei hat keine Rechte an dem Foto, deshalb kann es hier nur verlinkt werden.)
Und nicht nur das, dieses Foto hat Herzen berührt und zur Tat gedrängt. Als der Fotograf in einem Spiegel-Interview gefragt wurde, welche Hoffnung er mit der Auszeichnung seines Fotos verbinde, antwortete er: „Ich hoffe, dass es dazu beiträgt, dass Mustafa Hilfe bekommt und ihm Prothesen bereitgestellt werden können.“ Es folgte eine vorbildliche Zusammenarbeit von UNHCR, Regierungsbehörden, Katholischer Kirche, Caritas, Ärzten, Sponsoren.
Einen entscheidenden Beitrag dazu leistete die katholische Gemeinschaft St. Egidio, die seit Februar 2016 zusammen mit anderen Partnerorganisationen und der italienischen Regierung das Projekt Humanitäre Korridore ins Leben gerufen hat. Es ermöglicht besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen nach Prüfung bestimmter Kriterien eine legale und sichere Einreise nach Italien. Dazu erhalten die Schutzsuchenden ein humanitäres Visum, ausgestellt durch die Regierung. Frankreich, Belgien und Andorra beteiligen sich ebenfalls an diesem Programm. Auf dieser Grundlage durfte auch die Familie al-Nazzar nach Italien einreisen. In Deutschland heißt ein ähnliches Programm „Neustart im Team“ (NesT).
Am 21. Januar dieses Jahres, fast genau ein Jahr, nachdem das Foto aufgenommen wurde, landete die ganze fünfköpfige Familie auf dem Leonardo da Vinci International Airport in Fiumicino bei Rom. Das war der Start in ein neues Leben.
Lesen Sie die ganze Geschichte in The Guardian. Übersetzung hier.
Was hat mich an dieser Geschichte so berührt?
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- Zuerst das Bild von Munzir und Mustafa. Vater und Sohn sind beide vom Krieg in Syrien schwer gezeichnet. Eine trostlose Situation. Der Titel des Fotos ist „The Hardship of Life“, die Härte des Lebens. Und dennoch strahlt das Bild etwas Positives aus: Ein Moment innigen Beisammenseins von Vater und Sohn, ein fröhliches Lachen, das einen Augenblick die Sorgen vergessen lässt, in der Tristesse sogar etwas Leichtigkeit.
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- Dann der Fotograf, der diesen Moment eingefangen hat und damit den Stein zu der wunderbaren Wendung im Leben der Familie al-Nazzar ins Rollen gebracht hat.
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- Dass Menschen sich vom Schicksal ihrer Mitmenschen berühren lassen und handeln.
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- Die Idee der Humanitären Korridore, initiiert durch die Gemeinschaft St. Egidio. Positive Nachrichten aus der katholischen Kirche in der Öffentlichkeit, die zeigen, wofür die Kirche da ist.
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- Die Zusammenarbeit so vieler verschiedener Kräfte der Gesellschaft. Ein tolles Beispiel für gelungenes gemeinsames Handeln. Jede Institution und jeder Einzelne bringt ein, was er kann und ergänzt, was den anderen Partnern fehlt. „Gemeinsam sind wir stark“ ist nicht nur ein kluger Spruch.
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- Dass langwierige Verhandlungen zu einem guten Ende geführt werden konnten. Vielleicht gibt es auch für die Verhandlungen mit Russland um die Lage der Ukraine doch noch Hoffnung.
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- Wieder einmal die Entdeckung, dass auch in den schlimmsten Situationen die Hoffnung nicht stirbt und dass mit Gottes Hilfe immer etwas Neues entstehen kann. In der Familie al-Nazzal ereignet es sich gerade ganz konkret und das nicht nur im Restart. Die Familie ist guter Hoffnung. Sie erwartet ihr viertes Kind.
Ich möchte schließen mit einem Zitat von Kardinal Augusto Paole Lojudice im Interview mit Lorenzo Tondo, dem Autoren des Artikels in The Guardian. Lojudice war unmittelbar an den Verhandlungen beteiligt.
„This story shows there is something higher. As a man of the cloth, I call it God – you can call it humanity“ (Diese Geschichte zeigt uns, dass es etwas Höheres auf dieser Welt gibt. Als Geistlicher nenne ich es Gott – ihr könnt es auch Menschlichkeit nennen.)