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Impuls zum 10. Sonntag im Jahreskreis

von Gemeindereferentin Marita Kremper

Foto: Pixabay

 

Evangelium: Markus 3,20-35

20 Jesus ging in ein Haus und wieder kamen so viele Menschen zusammen, dass sie nicht einmal mehr essen konnten.

21 Als seine Angehörigen davon hörten, machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen; denn sie sagten: Er ist von Sinnen.

22 Die Schriftgelehrten, die von Jerusalem herabgekommen waren, sagten: Er ist von Beelzebul besessen; mit Hilfe des Herrschers der Dämonen treibt er die Dämonen aus.

23 Da rief er sie zu sich und belehrte sie in Gleichnissen: Wie kann der Satan den Satan austreiben?

24 Wenn ein Reich in sich gespalten ist, kann es keinen Bestand haben.

25 Wenn eine Familie in sich gespalten ist, kann sie keinen Bestand haben.

26 Und wenn sich der Satan gegen sich selbst erhebt und gespalten ist, kann er keinen Bestand haben, sondern es ist um ihn geschehen.

27 Es kann aber auch keiner in das Haus des Starken eindringen und ihm den Hausrat rauben, wenn er nicht zuerst den Starken fesselt; erst dann kann er sein Haus plündern.

28 Amen, ich sage euch: Alle Vergehen und Lästerungen werden den Menschen vergeben werden, so viel sie auch lästern mögen;

29 wer aber den Heiligen Geist lästert, der findet in Ewigkeit keine Vergebung, sondern seine Sünde wird ewig an ihm haften.

30 Sie hatten nämlich gesagt: Er hat einen unreinen Geist.

31 Da kamen seine Mutter und seine Brüder; sie blieben draußen stehen und ließen ihn herausrufen.

32 Es saßen viele Leute um ihn herum und man sagte zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und suchen dich.

33 Er erwiderte: Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder?

34 Und er blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder.

35 Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.

 

Impuls: Verwandtschaftsverhältnisse

Die Bibel berichtet immer wieder davon, dass sich viele Menschen um Jesus versammeln. Heute hören wir, dass es so viele waren, dass sie nicht einmal mehr essen konnten.[1] Außer denen, die Jesus umringen und ihm interessiert zuhören, begegnen ihm in dieser Perikope noch zwei weitere Gruppen: die Schriftgelehrten, die von Jerusalem herabgekommen waren und seine Angehörigen, also seine Familie. Beiden Gruppen ist deutliches Unverständnis für Jesu Botschaft anzumerken. Die Schriftgelehrten sagen: Er ist von Beelzebul besessen. Da beginnt Jesus sie in Form von Gleichnissen zu belehren, wobei auch Interessierte um ihn herumsitzen. Im Laufe dieser Belehrung kommen auch seine Verwandten zum Haus und meinen, ihn mit Gewalt von seinem Tun abhalten zu müssen. Doch auf die Nachricht, dass seine Mutter und seine Brüder vor der Tür stehen und ihn suchen, reagiert Jesus mit einer rhetorischen Frage: Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? und fährt fort: Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter. Wie die eigene Familie auf diese brüske Antwort reagiert, wird nicht berichtet.

Stellen Sie sich einmal vor, Sie sitzen zu Hause im Wohnzimmer mit Freunden und haben vertraute und intensive Gespräche. Da klingelt es an der Haustür und Ihre Eltern stehen draußen und beschweren sich, dass sie zu diesem Treffen nicht eingeladen wurden. Wie geht es Ihnen damit? Was denken Sie? Was würden Sie antworten?

Vor allem im letzten Teil dieser Textstelle geht es thematisch um Verwandtschaftsverhältnisse, um die „alten“ und die „neuen“. Im Alten Testament ist die Verwandtschaft ein wichtiges Element des Gesellschaftssystems. Das gesamte jüdische Leben gründet sich auf Familie, Sippe und Stamm. Soziale und politische Bindungen sind nicht denkbar ohne diesen Zusammenhalt. In Stammbäumen werden Herkunft und Zugehörigkeit belegt. Sogar der Ehepartner wurde in der Verwandtschaft gesucht, um den Zusammenhalt der Sippe zu garantieren.[2] Die rhetorische Frage Jesu Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? muss eine einzige Provokation für rechtgläubige Juden gewesen sein – und vielleicht hat es Jesus genau so gewollt, um deutlich zu machen, dass seine Sendung ein anderes Ziel hat als die Bekräftigung der eigenen verwandtschaftlichen Zugehörigkeit.

Verwandtschaftsverhältnisse sind bekanntlich nicht immer harmonisch: Wie stehe ich zu meinen Eltern oder Geschwistern? Wie stehen sie zu mir? Wie sind die gegenseitigen Erwartungen und Wünsche? Solche Fragen spielen eine wichtige Rolle im Umgang der Generationen und Verwandtschaftsgrade miteinander. Gerade über negative Emotionen wie Eifersucht, Neid, Missgunst oder Kränkung wird oft nicht offen gesprochen – doch im Untergrund sind diese Emotionen lebendig, blitzen an der einen oder anderen Stelle auf, prägen das Miteinander. Wer kennt das nicht aus eigener Erfahrung?

Mit diesen Verwandtschaftsverhältnissen räumt Jesus auf. In Jesu Radikalität wird spürbar, worum es ihm geht: „Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“

Der emeritierte Limburger Bischof Franz Kamphaus sagt: „Da entsteht eine neue Familie, die Familie derer, die den Willen Gottes erfüllen: die ‚familia Dei‘, die Gottesfamilie. Wir sind in der Gottesfamilie nicht blutsverwandt, sondern gottverwandt. Die Gottesfamilie ist drinnen im Haus versammelt. Die Blutsverwandten stehen draußen vor der Tür.“[3] Und er fährt fort: „In dieser Gottesfamilie sind alle Söhne und Töchter Gottes, Schwestern und Brüder Jesu Christi. Wir sind und bleiben Getaufte, und das ist allemal das Wichtigste, unsere wahre Würde. […] Da darf es keine Herrschaft von Geschwistern über Geschwister geben.“[4]

In dieser Familie kann die/der Einzelne ihren/seinen Weg mit Gott gehen, ihren/seinen ganz eigenen Auftrag entdecken, ihrer/seiner Berufung auf die Spur kommen. Es gibt keinen, der dir oder mir vorschreibt, was zu tun ist. Es gibt niemanden, der alles besser weiß und sich damit über die anderen stellen kann. In dieser Gottesfamilie gibt es letztlich nur Gleiche unter Gleichen. Das ist für mich eine Vision, der ich gerne folge und der zu folgen sich lohnt! Es ist die eigentliche Vision von Kirche: eine geschwisterliche Kirche, in der Jesus Christus gegenwärtig ist.

[1] Die kursiven Texte sind Zitate aus dem Sonntagsevangelium (Mk 3,20-35).

[2] Bibellexikon, Lizenzausgabe für die Büchergilde Gutenberg, Hrsg.: Klaus Koch, Eckart Otto, Jürgen Roloff, Hans Schmoldt, Frankfurt am Main und Wien. Mit freundlicher Genehmigung des Verlages Philipp Reclam jun. Stuttgart, 1978, 1992 – zu „Verwandtschaft“

[3] Franz Kamphaus, Der Unbekannte aus Nazareth, Patmos Verlag 2023, S. 174, Eine neue Familie

[4] Franz Kamphaus, Der Unbekannte aus Nazareth, Patmos Verlag 2023, S. 175, Nur einer

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