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Predigt zum 4. Sonntag in der Fastenzeit 2022

Evangelium: Lukas 15,1-32

1 In jener Zeit kamen alle Zöllner und Sünder zu Jesus, um ihn zu hören.

2 Die Pharisäer und die Schriftgelehrten empörten sich darüber und sagten: Dieser nimmt Sünder auf und isst mit ihnen.

3 Da erzählte er ihnen dieses Gleichnis und sagte:

4 Wenn einer von euch hundert Schafe hat und eins davon verliert, lässt er dann nicht die neunundneunzig in der Wüste zurück und geht dem verlorenen nach, bis er es findet?

5 Und wenn er es gefunden hat, nimmt er es voll Freude auf die Schultern,

6 und wenn er nach Hause kommt, ruft er die Freunde und Nachbarn zusammen und sagt zu ihnen: Freut euch mit mir, denn ich habe mein Schaf wiedergefunden, das verloren war!

7 Ich sage euch: Ebenso wird im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die keine Umkehr nötig haben.

8 Oder wenn eine Frau zehn Drachmen hat und eine davon verliert, zündet sie dann nicht eine Lampe an, fegt das Haus und sucht sorgfältig, bis sie die Drachme findet?

9 Und wenn sie diese gefunden hat, ruft sie die Freundinnen und Nachbarinnen zusammen und sagt: Freut euch mit mir, denn ich habe die Drachme wiedergefunden, die ich verloren hatte!

10 Ebenso, sage ich euch, herrscht bei den Engeln Gottes Freude über einen einzigen Sünder, der umkehrt.

11 Weiter sagte Jesus: Ein Mann hatte zwei Söhne.

12 Der jüngere von ihnen sagte zu seinem Vater: Vater, gib mir das Erbteil, das mir zusteht! Da teilte der Vater das Vermögen unter sie auf.

13 Nach wenigen Tagen packte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land. Dort führte er ein zügelloses Leben und verschleuderte sein Vermögen.

14 Als er alles durchgebracht hatte, kam eine große Hungersnot über jenes Land und er begann Not zu leiden.

15 Da ging er zu einem Bürger des Landes und drängte sich ihm auf; der schickte ihn aufs Feld zum Schweinehüten.

16 Er hätte gern seinen Hunger mit den Futterschoten gestillt, die die Schweine fraßen; aber niemand gab ihm davon.

17 Da ging er in sich und sagte: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben Brot im Überfluss, ich aber komme hier vor Hunger um.

18 Ich will aufbrechen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt.

19 Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein; mach mich zu einem deiner Tagelöhner!

20 Dann brach er auf und ging zu seinem Vater. Der Vater sah ihn schon von Weitem kommen und er hatte Mitleid mit ihm. Er lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn.

21 Da sagte der Sohn zu ihm: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt; ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein.

22 Der Vater aber sagte zu seinen Knechten: Holt schnell das beste Gewand und zieht es ihm an, steckt einen Ring an seine Hand und gebt ihm Sandalen an die Füße!

23 Bringt das Mastkalb her und schlachtet es; wir wollen essen und fröhlich sein.

24 Denn dieser, mein Sohn, war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden. Und sie begannen, ein Fest zu feiern.

25 Sein älterer Sohn aber war auf dem Feld. Als er heimging und in die Nähe des Hauses kam, hörte er Musik und Tanz.

26 Da rief er einen der Knechte und fragte, was das bedeuten solle.

27 Der Knecht antwortete ihm: Dein Bruder ist gekommen und dein Vater hat das Mastkalb schlachten lassen, weil er ihn gesund wiederbekommen hat.

28 Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Sein Vater aber kam heraus und redete ihm gut zu.

29 Doch er erwiderte seinem Vater: Siehe, so viele Jahre schon diene ich dir und nie habe ich dein Gebot übertreten; mir aber hast du nie einen Ziegenbock geschenkt, damit ich mit meinen Freunden ein Fest feiern konnte.

30 Kaum aber ist der hier gekommen, dein Sohn, der dein Vermögen mit Dirnen durchgebracht hat, da hast du für ihn das Mastkalb geschlachtet.

31 Der Vater antwortete ihm: Mein Kind, du bist immer bei mir und alles, was mein ist, ist auch dein.

32 Aber man muss doch ein Fest feiern und sich freuen; denn dieser, dein Bruder, war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden.

 

Predigt von Pastor Stefan Krinke

Der ehemalige Bischof von Erfurt, Joachim Wanke, hat in einem Vortrag dieses Gleichnis vom barmherzigen Vater, vom wiedergefundenen Sohn, als Kernstück eines christlichen Menschenbildes ausgelegt. Er benennt drei Kennzeichen dieses Menschenbildes so:

  1. Der Mensch ist auf einen Weg gestellt
  2. Der Mensch ist in ein Gespräch verwickelt.
  3. Der Mensch ist für eine unfassbare Freude bestimmt.

Die Einfachheit dieser drei Merkmale mag beim ersten Hören überraschen. Aber jenseits aller philosophischen und theologischen Tiefenbegründungen bringen sie doch das Wesentliche des christlichen Menschenbildes zum Ausdruck.

Zum ersten Kennzeichen: Der Mensch ist auf einen Weg gestellt.

Solange wir leben, sind wir auf dem Weg. Diese einfache und zugleich sehr plausible Aussage beinhaltet viel. Immer liegt – bis zum Tod – Zukunft vor uns. Immer können wir uns weiter entwickeln. Nie sind wir einfach nur festgelegt auf das, was aus uns geworden ist oder was wir aus uns gemacht haben. In dieser Sichtweise kommt eine große Weite in das menschliche Miteinander. Wir müssen uns selbst und andere nicht auf das einmal Erreichte oder Vertane festlegen.

Gott – so das Gleichnis – hält die Zukunft offen. Er geht – wie der Vater – den Weg seiner beiden Söhne innerlich mit. Er gibt beiden jeweils neu die Chance, zu wachsen und eine bessere Zukunft zu verwirklichen.

Zum zweiten: Der Mensch ist in ein Gespräch verwickelt.

Die wertschätzende Haltung drückt der Vater dadurch aus, dass er mit seinen beiden Söhnen redet und im Gespräch bleibt, auch da, wo sie das Gespräch abbrechen. Der Vater bleibt in Anteilnahme an seinen Sohn, der falsche Wege eingeschlagen hat, und spricht mit ihm, sobald er zurückkommt; er schenkt ihm sein Wort, das in die Weite führt.

Und der Vater geht auf seinen älteren Sohn zu und spricht in der gleichen Offenheit mit ihm, um ihn für die größere Weite im Leben jenseits von Enge und Rechthaberei zu gewinnen.

Auch das ist, obwohl so einfach gesagt, eine Grundhaltung, die Zukunft und Entwicklung ermöglicht.

Zum dritten: Der Mensch ist für eine unfassbare Freude bestimmt.

Diese Zukunft sieht der Evangelist Lukas als ein großes Geschenk Gottes, das im Bild eines großen Festes ausgedrückt ist. Das Ende ist also nicht ein Desaster, eine Katastrophe, sondern ein Fest, das alle Menschen vereinen will in einer Vision vom Frieden. Entgegen des in der Geschichte des Christentums manchmal so negativ dargestellten Gottes als eines großen Angstmachers erscheint Gott hier als der große aufrichtende Gastgeber der Menschen.

Eine solche Sicht vom Menschen kann mir selbst helfen. Gemeint ist: nicht festgelegt werden auf den augenblicklichen Stand meiner Entwicklung, nicht abgeschrieben werden in die Stummheit der Sprachlosigkeit und nicht abgetrieben werden in die Höllenangst, sondern leben in dem tiefen Vertrauen, dass Gott weiterhin Wege der Rettung offenhält, dass er mit uns Menschen im Gespräch bleibt und uns einmal hineinnehmen wird in seine Weite. Diese Sicht des Menschen tut mir aber auch der Welt gut.

Und wenn man es noch konkreter braucht:

Mit den Menschen unterwegs bleiben, auch wenn sie sich vom Gemeindeleben entfernt haben, mit den Menschen im Gespräch bleiben, auch wenn sie manchmal ganz anders denken als wir, mit und für die Welt hoffen, auch wenn sie mitunter „zum Teufel zu gehen“ scheint wie jetzt in Zeiten des Krieges.

Diese Kraft eines christlichen Menschenbildes können wir in unsere Gegenwart und Welt einfließen lassen, wenn wir denn uns selbst Tag für Tag darin einüben.

Amen.

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