Wussten Sie, dass es in der St. Vicelin-Gemeinde in Bad Oldesloe eine Dreieinigkeitskapelle1 gibt? Sie befindet sich im ehemaligen Wohnzimmer des Pfarrhauses und ist für kleinere Gruppen als Gottesdienstraum gedacht. Als ich im Jahr 2009 nach Bad Oldesloe kam, war man gerade dabei, sie zu konzipieren und einzurichten. Verwirklicht werden sollte eine Form, in der sich die versammelte Gemeinde als Tischgemeinschaft erfahren kann, ähnlich der Hauskirche in der frühen Christenheit.
In der Dreieinigkeitskapelle befindet sich eine Ikone, geschrieben von Klaus Breer, einem inzwischen hochbetagten Gemeindemitglied von St. Vicelin. Das Motiv hat sicher jede/r schon einmal gesehen. Es hat als Vorlage die weltberühmte Dreifaltigkeitsikone von Andrej Rubljow aus dem 15. Jahrhundert.
Schon immer habe ich mich gefragt, warum diese Ikone Dreifaltigkeitsikone genannt wird, denn sie stellt eigentlich eine Szene aus dem Ersten Testament dar (Gen 18,1-15): Drei Männer erscheinen Abraham und seiner Frau Sara bei den Eichen von Mamre. Nach orientalischer Sitte empfängt Abraham die drei Fremden als ehrwürdige Gäste, fällt vor ihnen nieder und erkennt in ihnen den einen HERRN. Bereits die Kirchenväter der frühen christlichen Jahrhunderte sahen in dieser biblischen Erzählung eine erste Offenbarung der Dreifaltigkeit Gottes. Spannend! Die orthodoxe Kirche hat daraus ihre Darstellung der Dreifaltigkeit abgeleitet und kanonisch festgelegt. Abgesehen davon, dass ich zu wenig Kenntnis habe, würde es an dieser Stelle auch zu weit führen, auf die unterschiedlichen Entwicklungen der Dreifaltigkeitsdarstellung in der westlichen und der östlichen Kirche einzugehen. Aber interessant finde ich es schon, wie grundlegend verschieden sie sind und welchen Einfluss sie dadurch womöglich auf das geistliche Leben ihrer Gläubigen haben.2
Theologische Deutungen gibt es für die eine wie die andere Darstellung en masse. Ich persönlich kann jedoch mit der Darstellung der orthodoxen Kirche viel mehr anfangen als mit unserer eigenen Bildtradition.
Die Beschäftigung mit der Ikone ließ mich immer wieder staunen über die geistliche Tiefe, die der Mönch Alexej Rubljow in ihr zum Ausdruck gebracht hat und in die ich mich hineingenommen fühle.
Ich möchte mit Ihnen hier nur einige Gedanken teilen. Die Ikone ist ein gemaltes Gebet, entstanden in der Stille und durch die Meditation.
- Drei junge Gestalten sitzen miteinander an einem Tisch. Für mich ist nicht eindeutig klar, ob es Männer oder Frauen sind. Sie sehen alle gleich aus, unterscheiden sich nur in ihrer Haltung und in der Farbe der Gewänder. Gott scheint jung, weder männlich noch weiblich.
- Alle drei tragen einen Botenstab, den Stab der Autorität Gottes. Sie sind gleichberechtigt, keiner steht über oder unter dem anderen.
- Sie wirken auf mich, als seien sie miteinander in ein vertrautes Gespräch vertieft. Was beschäftigt sie?
- Ruhe und Frieden strahlen sie aus.
- Ihre Blicke gehen von einem zum anderen, liebevoll, aufmerksam.
- Ihre Hände segnen die Schale in ihrer Mitte. Ist es das Mahl, das Abraham ihnen gereicht hat? Ist es das eucharistische Mahl?
- Die drei Gestalten sind auf einer gedachten Kreislinie angeordnet. So wird die Einheit der drei verdeutlicht. Als geometrische Figur ist der Kreis ohne Anfang und Ende ein Hinweis auf den ewigen Gott.
- Als Betrachter/in kann ich in diesen Kreis eintreten. Der Kreis öffnet sich, so dass ich mich an den Tisch setzen kann. Ich werde hineingenommen in die göttliche Gemeinschaft, darf eintreten in diesen heiligen Raum der Liebe. Da wird mir im ersten Moment fast ein wenig unheimlich. Ich erschauere. Aber nach einer Weile spüre ich die Liebe, mit der ich angenommen bin und die mich umhüllt wie ein Gewand – ähnlich dem, welches jede der drei göttlichen Personen trägt.
- Die Ikone zeigt mir das Wesen Gottes. Er ist in sich Gemeinschaft, Harmonie, er ist Liebe und ich darf in seiner Gegenwart sein. Fast fühle ich mich wie die drei Jünger auf dem Berg Tabor, die den Moment der Verklärung Jesu festhalten wollten. Aber das ging ja schon damals nicht.
Einer meiner Lieblingsautoren geistlicher Schriften ist Henri Nouwen, ein niederländischer katholischer Priester und Dozent.
Bei meiner Recherche zur Dreifaltigkeitsikone von Andrej Rubljow entdeckte ich, dass er ein Buch3 mit Betrachtungen zu dieser Ikone geschrieben hat. Ich habe es mir gleich bestellt und bin schon ganz gespannt darauf! Ein Zitat aus diesem Buch möchte ich schon jetzt und hier an Sie weitergeben. Henri Nouwen schreibt:
Für mich wurde die Betrachtung dieser Ikone immer mehr ein Weg, tiefer in das Geheimnis des göttlichen Lebens einzutreten und gleichzeitig ganz und gar engagiert zu bleiben in dem Ringen um unsere hass- und angsterfüllte Welt. Während ich lange Stunden vor Rubljows Dreifaltigkeit saß, merkte ich, wie allmählich mein Schauen zum Gebet wurde. Dieses schweigende Gebet ließ nach und nach meine innere Unrast hinwegschmelzen und hob mich empor in den Kreis der Liebe, einen Kreis, der von den Mächten der Welt nicht durchbrochen werden konnte. … Ich wusste, dass das Haus der Liebe, in das ich eingetreten war, keine Grenzen hat und jeden umgibt, der dort wohnen will.
1Dreieinigkeit und Dreifaltigkeit meint dasselbe aus unterschiedlicher Perspektive: Dreieinigkeit bedeutet die menschliche Sicht / Erfahrung der Trinität Gottes, Dreifaltigkeit bedeutet die göttliche Offenbarung der Trinität.
2Hier können Sie eine ausführliche Deutung zur Ikone lesen.
3 Henri Nouwen, Peter Dyckhoff, „Bilder göttlichen Lebens“ erschienen im Herder-Verlag