von Diakon Tobias Riedel

Evangelium: Lk 12,13-21
13 Einer aus der Volksmenge bat Jesus: Meister, sag meinem Bruder, er soll das Erbe mit mir teilen.
14 Er erwiderte ihm: Mensch, wer hat mich zum Richter oder Schlichter bei euch gemacht?
15 Dann sagte er zu den Leuten: Gebt Acht, hütet euch vor jeder Art von Habgier. Denn der Sinn des Lebens besteht nicht darin, dass ein Mensch aufgrund seines großen Vermögens im Überfluss lebt.
16 Und er erzählte ihnen folgendes Beispiel: Auf den Feldern eines reichen Mannes stand eine gute Ernte.
17 Da überlegte er hin und her: Was soll ich tun? Ich weiß nicht, wo ich meine Ernte unterbringen soll.
18 Schließlich sagte er: So will ich es machen: Ich werde meine Scheunen abreißen und größere bauen; dort werde ich mein ganzes Getreide und meine Vorräte unterbringen.
19 Dann kann ich zu mir selber sagen: Nun hast du einen großen Vorrat, der für viele Jahre reicht. Ruh dich aus, iss und trink und freu dich des Lebens!
20 Da sprach Gott zu ihm: Du Narr! Noch in dieser Nacht wird man dein Leben von dir zurückfordern. Wem wird dann all das gehören, was du angehäuft hast?
21 So geht es jedem, der nur für sich selbst Schätze sammelt, aber vor Gott nicht reich ist.
Predigt
Liebe Schwestern und Brüder!
„Du Narr!“ – So lautet in dem Gleichnis, das wir gerade gehört haben, Gottes Urteil über den reichen Mann. In der Eulenspiegelstadt Mölln mag das Wort „Narr“ einen guten Klang haben – doch im heutigen Evangelium ist es vernichtend gemeint. In Gottes Augen ist der reiche Mann vollständig auf dem Holzweg, einer, der nichts, gar nichts begriffen hat. Was hat er falsch gemacht?
Auf den Feldern des reichen Mannes steht eine gute Ernte. Die Pflanzen reifen prächtig heran. Was soll daran falsch sein? Und als der Mann sieht, dass seine alten, kleinen Scheunen die Ernte nicht werden fassen können, baut er neue und größere Scheunen. Mit anderen Worten: Er sorgt klug vor, damit nichts von der Ernte verdirbt. Wer wollte ihm daraus einen Vorwurf machen?
Und doch lautet das Urteil Gottes über ihn: „Du Narr!“ Und Gott hat recht damit, denn der Umgang des Mannes mit seinem Reichtum lässt in der Tat zu wünschen übrig. Zu diesem Thema – dem richtigen Umgang mit dem Reichtum – möchte ich heute einige Gedanken mit Ihnen teilen.
Wem verdankt der reiche Mann die gute Ernte? Zum Teil sicherlich seiner Kenntnis und seinem Geschick. Er weiß, wie man ein Feld pflügt und wann der richtige Zeitpunkt für die Aussaat ist. Doch viele Faktoren hat er nicht in der Hand: Etwa, ob genug Regen fällt – oder ob die keimende Saat in der sengenden Sonne verdorrt. Auch das fruchtbare Ackerland hat er nicht selbst gemacht, sondern vermutlich von seinen Vätern geerbt, die den Acker irgendwann einmal „in Besitz genommen“ haben. Ganz zu schweigen von dem Wunder, dass aus einem einzelnen Samenkorn eine Pflanze sprießt,[1] die dreißigfach, sechzigfach, ja hundertfach Frucht bringt.[2] Dieses Wachstum, diese Fruchtbarkeit kann man nicht machen. So betrachtet, verdankt der Mann die gute Ernte also nur zu einem kleineren Teil seiner eigenen Anstrengung – im Wesentlichen wird sie ihm geschenkt. Es stünde ihm gut an, dies demütig und dankbar anzuerkennen – doch er überschätzt seinen eigenen Anteil am Erfolg.
Wenn wir ehrlich sind, werden wir uns eingestehen müssen, dass wir oft genauso denken. Vielen von uns geht es materiell gut, schon im deutschlandweiten Vergleich, und im weltweiten erst recht. Viele von uns nennen ein Haus oder eine Wohnung ihr Eigen, ein Auto, vielleicht sogar zwei, die Urlaubsreise jetzt im Sommer ist eine Selbstverständlichkeit, und wenn wir Lust haben, heute Abend eine Pizza essen zu gehen, brauchen wir nicht lange zu überlegen, ob wir uns das leisten können. Doch ist dieser Reichtum unser Verdienst? Sicherlich, wir haben einen gewissen Anteil daran – doch waren es nicht unsere Eltern, die uns damals, als wir klein waren, gefördert haben, so dass wir uns gut entfalten konnten? Ist es unser Verdienst, wenn wir gesund geboren wurden – und damit leistungsfähig? Und ist es etwa unser Verdienst, dass hier in Deutschland seit 1945 Frieden herrscht und sich so der heutige Wohlstand nach und nach entwickeln konnte? All diese Faktoren haben wir nicht selbst in der Hand – auch uns ist unser Wohlstand vor allem geschenkt. Wer das einmal erkannt hat, wird eine tiefe Dankbarkeit empfinden.
Doch wenn unser Reichtum weniger unsere eigene Leistung als ein unverdientes Geschenk ist, dann ergibt sich daraus eine weitere Erkenntnis, nämlich diese: Eine volle Scheune ist per se nicht unmoralisch – sie wird aber zu einer obszönen Ungerechtigkeit, wenn mein Bruder nicht genug zu essen hat. Hier liegt der Fehler des reichen Mannes: Er hat seinen Reichtum nicht genutzt, um die Not anderer zu lindern – stattdessen sagt er zu sich selbst: Ruh dich aus, iss und trink und freu dich des Lebens! Was für ein Narr!
Was können wir tun, damit wir in den Augen Gottes nicht auch als Narren dastehen? Ich denke, es geht darum, dass wir unseren Reichtum so einsetzen, dass er nicht nur uns, sondern auch anderen Menschen zum Segen wird. Konkret kann das zum Beispiel folgendes bedeuten:
Erstens: Teilen. Niemand missgönnt uns eine schicke Jeans, eine leckere Pizza oder eine gemütliche Wohnung. Doch die existentielle Not vieler Menschen weltweit sollte uns sensibel machen für folgende Frage: Entspricht mein Lebensstandard meinem tatsächlichen Bedarf – oder geht er weit darüber hinaus? Spätestens dann wäre Teilen moralisch geboten.
Zweitens: Augen auf bei der Berufswahl! Vor allem für jungen Menschen gilt: Suche ich mir einen Beruf aus, der nur mein Portemonnaie füllt, oder auch einen sinnvollen Beitrag für unsere Gesellschaft leistet?
Drittens: Ehrenamt. Auch die Älteren sind gerufen, die ihnen geschenkte Lebenszeit im Sinne Jesu zu nutzen. Gehe ich in meiner Freizeit nur meinen Hobbys nach, oder engagiere ich mich ehrenamtlich für meine Mitmenschen oder Mitgeschöpfe?
Viertens: Wohlüberlegter Konsum. Die Frage, wofür wir unser Geld ausgeben, ist hoch politisch. Als Verbraucher haben wir einen erheblichen Einfluss: Reise ich nach München mit der Bahn oder mit dem Flieger? Kaufe ich im Geschäft um die Ecke oder bestelle ich bei Amazon? Millionen dieser Kaufentscheidungen haben in Summe die Kraft, unsere Welt zu verändern.
Fünftens: Politisches Engagement. Wer am Reich Gottes mitbauen will, sollte nicht nur Symptome lindern, sondern Strukturen verändern. Deshalb hat der christliche Glaube immer auch eine politische Dimension. In einer Demokratie wie der unsrigen ist politisches Engagement – Gott sei Dank! – ja auch gefahrlos möglich. Was hindert uns, uns für ein gerechteres Wirtschaftssystem und die Bewahrung der Schöpfung einzusetzen? Die Enzyklika „Laudato si“ des verstorbenen Papstes Franziskus, die vor fast genau zehn Jahren erschienen ist, bietet dafür bis heute Orientierung.
Wie kann ich meinen Reichtum – sei es Geld, sei es Zeit – so einsetzen, dass er nicht nur mir, sondern auch anderen Menschen zum Segen wird? An dieser Frage sollten wir dranbleiben – jeder für sich und wir alle gemeinsam. Wir sollten sie mit Jesus im Gebet besprechen. Und wir sollten dann, wenn in uns eine Antwort herangereift ist, den Mut haben, aufzubrechen. Denn die Warnung Jesu aus dem heutigen Evangelium gilt auch uns: Gebt acht, hütet euch vor jeder Art von Habgier. Denn der Sinn des Lebens besteht nicht darin, dass ein Mensch aufgrund seines großen Vermögens im Überfluss lebt.
Amen.
[1] vgl. 1 Kor 3,6
[2] vgl. Mk 4,8