Predigt zum 29. Sonntag im Jahreskreis

von Pastor Stefan Krinke

Evangelium: Lukas 18, 1–8

In jener Zeit sagte Jesus seinen Jüngern durch ein Gleichnis, dass sie allezeit beten und darin nicht nachlassen sollten: In einer Stadt lebte ein Richter, der Gott nicht fürchtete und auf keinen Menschen Rücksicht nahm. In der gleichen Stadt lebte auch eine Witwe, die immer wieder zu ihm kam und sagte: Verschaff mir Recht gegen meinen Widersacher! Und er wollte lange Zeit nicht. Dann aber sagte er sich: Ich fürchte zwar Gott nicht und nehme auch auf keinen Menschen Rücksicht; weil mich diese Witwe aber nicht in Ruhe lässt, will ich ihr Recht verschaffen. Sonst kommt sie am Ende noch und schlägt mich ins Gesicht. Der Herr aber sprach: Hört, was der ungerechte Richter sagt! Sollte Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht zu ihrem Recht verhelfen, sondern bei ihnen zögern? Ich sage euch: Er wird ihnen unverzüglich ihr Recht verschaffen. Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, den Glauben auf der Erde finden?

 

Predigt: Die Hartnäckigkeit der Witwe

Selten liegen in einem Evangelium Ernst und Heiterkeit so nahe beieinander. Eine Frau von beeindruckender Hartnäckigkeit wird uns heute vorgestellt. Ihre Situation ist freilich zunächst alles andere als erheiternd: Sie ist Witwe und damit völlig auf sich allein gestellt. Sie zählte zur Zeit Jesu zu den Ärmsten der Gesellschaft. Ihnen zu schaden galt deshalb als besonders niederträchtig und gemein. Und diese Witwe gerät nun ausgerechnet an einen Richter, der weder religiös ist noch sonst von mitmenschlichen Skrupeln geplagt wird. Er fürchtet nicht einmal Gott und nimmt auf keinen Menschen Rücksicht. Noch schlechtere Aussichten für die Witwe, ihr Recht durchzusetzen, sind also kaum vorstellbar.

Und doch gelangt sie an ihr Ziel, und zwar mit bewundernswerter Zähigkeit. Sie lässt dem Richter einfach keine Ruhe. Als er dies merkt, gibt er schließlich resigniert auf und tut, was sie von ihm verlangt. Denn am Ende, so sagt er sich, kommt sie noch und schlägt mir ins Gesicht. Wörtlich heißt es: „Sonst kommt sie noch und schlägt mir das Auge blau.“ Spätestens da kann man sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Ein mächtiger Mann wird von einer armen Frau in die Knie gezwungen, allein dadurch, dass sie nicht locker lässt.

Doch damit beginnen für uns erst die Probleme, dieses Gleichnis richtig zu verstehen. Können wir den Richter einfach so mit Gott gleichsetzen? Genährt wird diese Auffassung ja durch die Worte Jesu selbst, der anfügt: „Sollte Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht zu ihrem Recht verhelfen, sondern zögern? Ich sage euch: Er wird ihnen unverzüglich ihr Recht verschaffen.“

Gott also erfüllt unsere Wünsche, wenn wir nur inständig und unablässig zu ihm beten? Können und sollen wir Gott durch unseren Glauben und unsere Gebete erweichen, bis er klein beigibt wie der Richter im Gleichnis?

Ein Lehrer gestand einem Seelsorger, dass er schon lange nicht mehr gebetet habe. Das letzte Mal, so erinnerte er sich, war das am Abend vor seinem Examen für das Lehramt. Und er bat Gott um eine erfolgreiche Prüfung. Eigentlich aber, so kam ihm nach wenigen Augenblicken der Gedanke, sei das doch unredlich, Gott erst dann anzurufen, wenn man etwas von ihm braucht. Und konsequenterweise ließ er das Gebet seit diesem Zeitpunkt.

Beten um Gott zu bitten, ist sicher nicht verkehrt. Und es ist gewiss auch nicht falsch, sich in der Stunde der Not an Gott zu erinnern. Dennoch, und da hat dieser Lehrer wohl Recht: Es ist eigentlich zu wenig. Wer meint, beim Beten gehe es zuallererst um ein „Bitten um“, vielleicht auch um ein „Danken für“, ist im Irrtum. Denn beten ist zunächst ein „Beten zu Gott“: oder wie wir es im lateinischen Text des Credo ausdrücken: „Ich glaube auf Gott hin“. Ihm danken wir, ihn rufen wir an, mit ihm reden wir.

Im Mittelpunkt des Gebetes steht unsere Beziehung zu Gott, nichts anderes. Es geht nicht um ein Erhalten, nicht um ein Durchsetzen des eigenen Willens. Wenn Jesus davon spricht, dass Gott dem Bittenden sein Recht verschafft, dann ist zu bedenken, was das „Recht“ des Menschen ist, was ihm zutiefst fehlt zu seinem Heil und Glück: nämlich die Freundschaft und Liebe Gottes. Sich in Gott geborgen zu wissen, seine bleibende Nähe spüren zu dürfen, ihn als „Du“ anreden zu können – das ist das Anrecht des Menschen.

So ist es die Hartnäckigkeit der Witwe, nicht ihr Sieg im Rechtsstreit, der uns als vorbildlich vor Augen gestellt wird. Die Aufforderung zum unablässigen Gebet heißt dann: Haltet eure Beziehung zu Gott stets aufrecht! Lasst nicht ab von ihm, lasst ihn nie in Ruhe, denn das möchte er auch nicht. Er ist ein Gott für uns Menschen und er hört gerade die, die Tag und Nacht zu ihm schreien, auch wenn sie manchmal das Gefühl haben, dass er so weit weg ist. Beten heißt somit auch: sich selbst nicht aufgeben und der persönlichen Beziehung zu Gott immer wieder Raum geben.

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