von Diakon Tobias Riedel
Evangelium: Matthäus 3, 13-17
In jener Zeit
13 kam Jesus von Galiläa an den Jordan zu Johannes, um sich von ihm taufen zu lassen.
14 Johannes aber wollte es nicht zulassen und sagte zu ihm: Ich müsste von dir getauft werden und du kommst zu mir?
15 Jesus antwortete ihm: Lass es nur zu! Denn so können wir die Gerechtigkeit ganz erfüllen. Da gab Johannes nach.
16 Als Jesus getauft war, stieg er sogleich aus dem Wasser herauf. Und siehe, da öffnete sich der Himmel und er sah den Geist Gottes wie eine Taube auf sich herabkommen.
17 Und siehe, eine Stimme aus dem Himmel sprach: Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe.
Predigt
Liebe Schwestern und liebe Brüder!
Zwischen Weihnachten und dem Fest Taufe des Herrn, das wir heute feiern, liegen gerade einmal zwei Wochen. Zwischen der Geburt Jesu und seiner Taufe im Jordan, von der wir gerade gehört haben, liegen jedoch rund dreißig Jahre. Was hat Jesus in dieser Zeit erlebt? Wie verlief seine Kindheit, seine Jugend? Wir wissen nicht viel darüber. Er wuchs – so dürfen wir vermuten – in Nazareth auf und arbeitete wie sein Vater Josef als Zimmermann. Vermutlich lebte er das gewöhnliche Leben eines frommen Juden in der galiläischen Provinz.
Mit dreißig Jahren pilgert Jesus dann an den Jordan, um sich von Johannes taufen zu lassen. Viele fromme Juden machen das so, es ist also nichts Außergewöhnliches. Sie wollen auf diese Weise ausdrücken, dass sie sich neu JHWH [sprich: dem HERRN] und seinem Gesetz zuwenden wollen. Die Taufe des Johannes ist ein Zeichen der Umkehr, vergleichbar vielleicht mit unserem Aschekreuz. Ein paar Stunden oder ein paar Tage später kehren die meisten Menschen, die es empfangen, wieder in ihren Alltag zurück.
Bei der Taufe Jesu geschieht dann jedoch etwas ganz und gar nicht Alltägliches. Jesus hört eine Stimme aus dem Himmel: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.“[1] Es ist – so verstehe ich die Perikope – eine innere Stimme. Und für Jesus ist klar: Diese Stimme kommt von Gott. Sie spricht ihn an, er ist gemeint. Er spürt, dass er von Gott geliebt ist, ohne Einschränkung, ohne Maß. Mit anderen Worten: Jesus macht am Jordan eine Gotteserfahrung – und diese Erfahrung stellt sein ganzes bisheriges Leben auf den Kopf. Er kann danach nicht einfach zu seiner Familie nach Nazareth und an seinen Arbeitsplatz zurückkehren. Stattdessen zieht er sich in die Wüste zurück, um allein zu sein, um nachzudenken, um zu beten. Hier – in der Wüste – wird ihm nach und nach seine Berufung klar. Nach vierzig Tagen des Ringens[2] beginnt er, öffentlich die frohe Botschaft zu verkünden: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium![3]
Am Beispiel Jesu sehen wir: Wenn Menschen die Erfahrung machen, dass sie von Gott geliebt sind, verändert das ihr Leben von Grund auf. Was bisher wichtig war, sei es Familie oder Beruf, verliert an Bedeutung.[4] Stattdessen erwacht der Wunsch, fortan in Beziehung mit Gott zu leben – und es erwacht der Wunsch, auf Gottes Liebe zu antworten.
Wie können wir auf Gottes Liebe antworten? Eigentlich ist es ganz einfach: Indem wir sie weiterschenken! Die Mystikerin Madeleine Delbrêl, die mich sehr fasziniert, drückt es so aus: „Die Liebe ist unsere einzige Aufgabe.“ Wer sich von Gott geliebt weiß, wird die Menschen lieben – besonders die Ungeliebten. Und wer Gott dienen will, wird den Menschen dienen – besonders den Ausgegrenzten. Jesus selbst macht es uns vor: Von seiner Gotteserfahrung am Jordan an stellt er sich ganz in den Dienst der Menschen: Er heilt Kranke. Er sorgt sich um Bettler. Er kehrt bei Zöllnern ein. Für eine Ehebrecherin riskiert er Kopf und Kragen. Und sie alle spüren: Das Reich Gottes ist nahe.
Amen.
[1] Mk 1,11
[2] Mk 1,12: „… und wurde vom Satan in Versuchung geführt …“
[3] Mk 1,14
[4] In den Augen seiner Familie war Jesus schlicht „von Sinnen“ (vgl. Mk 3,21).