von Pastor Stefan Krinke

Evangelium: Lukas 16,19-31
In jener Zeit sprach Jesus zu den Pharisäern: 19 Es war einmal ein reicher Mann, der sich in Purpur und feines Leinen kleidete und Tag für Tag glanzvolle Feste feierte. 20 Vor der Tür des Reichen aber lag ein armer Mann namens Lázarus, dessen Leib voller Geschwüre war. 21 Er hätte gern seinen Hunger mit dem gestillt, was vom Tisch des Reichen herunterfiel. Stattdessen kamen die Hunde und leckten an seinen Geschwüren.
22 Es geschah aber: Der Arme starb und wurde von den Engeln in Abrahams Schoß getragen. Auch der Reiche starb und wurde begraben. 23 In der Unterwelt, wo er qualvolle Schmerzen litt, blickte er auf und sah von Weitem Abraham und Lázarus in seinem Schoß. 24 Da rief er: Vater Abraham, hab Erbarmen mit mir und schick Lázarus; er soll die Spitze seines Fingers ins Wasser tauchen und mir die Zunge kühlen, denn ich leide große Qual in diesem Feuer. 25 Abraham erwiderte: Mein Kind, erinnere dich daran, dass du schon zu Lebzeiten deine Wohltaten erhalten hast, Lázarus dagegen nur Schlechtes. Jetzt wird er hier getröstet, du aber leidest große Qual. 26 Außerdem ist zwischen uns und euch ein tiefer, unüberwindlicher Abgrund, sodass niemand von hier zu euch oder von dort zu uns kommen kann, selbst wenn er wollte. 27 Da sagte der Reiche: Dann bitte ich dich, Vater, schick ihn in das Haus meines Vaters! 28 Denn ich habe noch fünf Brüder. Er soll sie warnen, damit nicht auch sie an diesen Ort der Qual kommen. 29 Abraham aber sagte: Sie haben Mose und die Propheten, auf die sollen sie hören. 30 Er erwiderte: Nein, Vater Abraham, aber wenn einer von den Toten zu ihnen kommt, werden sie umkehren. 31 Darauf sagte Abraham zu ihm: Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht.
Predigt
„Es war einmal…“ So beginnen gewöhnlich Märchen. Wenn Jesus im heutigen Evangelium diese Worte zu Beginn seiner Beispielgeschichte verwendet, könnte jemand glauben, wir wären in einer Märchenstunde. Und tatsächlich ist der Ursprung der gehörten Erzählung ein altes ägyptisches Märchen, das Einfluss auch auf den jüdischen Talmud nahm und sicher auch Jesus bekannt war. Dort waren es ein armer Schriftgelehrter und ein reicher Zöllner, die gegenübergestellt wurden. Nur das Ende war anders: Kurz vor dem Tod gab der reiche Zöllner ein Festmahl, zu dem er die Ratsherren einlud, die aber nicht erschienen. Darüber erbost, lud er die Armen von der Straße ein, die auch kamen. Als er dann starb, wurde ihm aufgrund dieser einen guten Tat für die Armen ein festliches Begräbnis auf Erden ausgerichtet. Der arme Schriftgelehrte starb ohne große Beachtung. Sein Lohn wurde ihm im Himmel gewährt.
Auf diesen Schluss der Talmuderzählung bezieht Jesus sein Gleichnis. Es geht bei ihm um den gerechten Lohn oder die verdiente Strafe. Lazarus erhält Anteil an der himmlischen Tischgemeinschaft, der Reiche gelangt in die Unterwelt, wo er unvorstellbare Qualen erleidet. Selbst seine Bitte um Linderung findet kein Gehör.
Gibt es im Himmel also endlich den ersehnten Umsturz? Die Hungernden dieser Erdenzeit können sich nach Belieben den Magen vollschlagen, während die Reichen dahingehen, wohin sie die Armen zeitlebens gewünscht haben, nämlich zum Teufel? Solche Interpretationen mögen menschlichem Wunschdenken entspringen (man sagt Gerechtigkeit, meint aber Rache), würden aber am Sinn der Worte Jesu vorbeigehen.
Lazarus wird nicht getröstet, weil er im wahrsten Sinne des Wortes „auf den Hund gekommen“ ist. Vielmehr wird er gerettet, weil er Gott noch in seinem Leiden die Treue hält. Das geht schon daraus hervor, dass der Reiche anonym bleibt, während Lazarus namentlich benannt wird. Lazarus bedeutet „dem Gott hilft“. Der Name besagt, dass dieser neutestamentliche Ijob seine ganze Hoffnung auf Gott setzt. Und wer auf Gott vertraut, erlangt Heil und erfährt Rettung. Nicht wegen seiner Armut, sondern um seines Glaubens willen. Daraus ergibt sich die Folgerung, dass auch der Reiche nicht wegen seines Besitzes, sondern allein aufgrund seiner Lebenseinstellung der Verwerfung anheimfällt. Verdeutlicht wird dies an der Aussage Abrahams, dass selbst die Brüder, die durch die Wiederkehr eines Toten gewarnt werden sollen, nicht bereit sein werden, ihr Leben zu ändern.
Das Gleichnis macht deutlich: Wenn es um das Leben geht, wird der Reichtum leicht zur Falle. Und wenn diese Falle zuschnappt, zielt das ganze Sinnen und Trachten eines Menschen nur noch darauf, seinen Besitz zu mehren, seine Macht auszubauen, sein Leben zu genießen. Er ist taub gegenüber der Stimme seines Herzens und blind gegenüber den Armen vor seiner Tür.
Doch das Gleichnis führt uns noch auf eine weitere Spur: In der Bibel findet sich eine ausgeprägte Zahlensymbolik – auch am Ende dieses Gleichnisses: Der Reiche hat noch fünf Brüder, es sind also insgesamt sechs. Die Sechs ist die Zahl der Unvollkommenheit. Solange sie Lazarus nicht einlassen, bleiben sie unvollständig. Sieben hingegen ist die Zahl der Verwandlung. Das kann bedeuten: Erst wenn wir das Arme und Verachtete annehmen, werden wir ganze Menschen. Dann werden wir in das Bild verwandelt, das Gott sich von uns gemacht hat.
Im Gleichnis wird die Kluft nicht überwunden. Jesus zwingt uns daher, einen Blick in die eigene Hölle zu werfen. Vielleicht stehen wir selbst nicht in der Gefahr, dass es uns so ergeht. Aber ich denke, dass ein jeder und eine jede von uns sich immer wieder fragen muss, ob die eigene Lebensausrichtung, der gelebte Alltag noch so viel Freiraum für den hat, von dem wir sagen, er gehört zu meinem Leben dazu: Gott. Es gilt die Frage zu beantworten: Wovon bin ich besetzt? Und wenn ich mir darauf eine ehrliche Antwort gebe, gilt es noch einer zweiten Frage nachzugehen: Hilft mir das, was mich besetzt, auf dem Weg zum Leben – oder führt es zur Selbstzerstörung? Das Gleichnis möchte uns also nicht Angst machen, sondern die Augen öffnen.