von Gemeindereferentin Monika Tenambergen
Lesung: Baruch 5,1-9
1 Leg ab, Jerusalem, das Kleid deiner Trauer und deines Elends und bekleide dich mit dem Schmuck der Herrlichkeit, die Gott dir für immer verleiht!
2 Leg den Mantel der göttlichen Gerechtigkeit an; setz dir die Krone der Herrlichkeit des Ewigen aufs Haupt!
3 Denn Gott will deinen Glanz dem ganzen Erdkreis unter dem Himmel zeigen.
4 Gott gibt dir für immer den Namen: Friede der Gerechtigkeit und Herrlichkeit der Gottesfurcht.
5 Steh auf, Jerusalem, und steig auf die Höhe! Schau nach Osten und sieh deine Kinder: Vom Untergang der Sonne bis zum Aufgang hat das Wort des Heiligen sie gesammelt. Sie freuen sich, dass Gott an sie gedacht hat.
6 Denn zu Fuß zogen sie fort von dir, weggetrieben von Feinden; Gott aber bringt sie heim zu dir, ehrenvoll getragen wie in einer königlichen Sänfte.
7 Denn Gott hat befohlen: Senken sollen sich alle hohen Berge und die ewigen Hügel und heben sollen sich die Täler zu ebenem Land, sodass Israel unter der Herrlichkeit Gottes sicher dahinziehen kann.
8 Wälder und duftende Bäume aller Art spenden Israel Schatten auf Gottes Geheiß.
9 Denn Gott führt Israel heim in Freude, im Licht seiner Herrlichkeit; Erbarmen und Gerechtigkeit kommen von ihm.
Habt Vertrauen – es kommen bessere Zeiten!
Ich hatte mich ausgeheult am Telefon. Es war mir alles zu viel geworden und es schien keine Besserung in Sicht. Ich fühlte mich unfair behandelt und im Stich gelassen – auch von Gott. Am anderen Ende der Leitung war jemand, der zuhörte und Verständnis zeigte – und dann sein Satz: „Es kommen auch wieder bessere Zeiten!“ Eigentlich viel zu einfach und banal, könnte man meinen, aber in dem Moment tat er mir gut. Er tröstete, munterte mich auf, ließ mich zuversichtlich nach vorne schauen und hoffen – und er stimmte! Ohne, dass ich selbst viel ändern konnte: Es kamen wieder bessere Zeiten!
An diese Situation musste ich denken, als ich mich näher mit dem Text des Propheten Baruch – das bedeutet übersetzt „der Gesegnete“ – beschäftigte, den die Leseordnung uns heute, am 2. Adventssonntag im Lesejahr C, vorlegt. Das Buch Baruch ist eine der jüngsten Schriften im Alten Testament, entstanden Mitte des 1. Jahrhunderts vor Christus. Sie umfasst nur sechs Kapitel. Jedoch enthält das Buch eine kraftvolle Botschaft von Vertrauen, Umkehr und Hoffnung. Außer an diesem Sonntag hören wir daraus nur noch in der Osternacht – eine der sieben alttestamentlichen Lesungen ist dem Buch Baruch entnommen.
Obwohl die Erfahrung des Babylonischen Exils schon fast 500 Jahrhunderte zurückliegt, bezieht sich der Verfasser auf dieses traumatische Ereignis des Volkes Israel, das sich fest in die Erinnerung eingebrannt hatte. 50 lange Jahre dauerte es, bis die Verschleppten nach Jerusalem zurückkehren durften:
- 50 lange Jahre unfreiwillig in der Fremde
- 50 lange Jahre fern vom Tempel
- 50 lange Jahre Unterdrückung
- 50 lange Jahre in der Diaspora
- 50 lange Jahre Heimweh.
Liest man das Buch im Ganzen, fällt auf, dass Israel immer wieder aufgefordert wird, zu vertrauen: „Hab Vertrauen, mein Volk, du trägst den Namen Israel.“[1] „Habt Vertrauen, meine Kinder, schreit zu Gott!“[2] „Hab Vertrauen, Jerusalem![3] Der dir den Namen gab, er wird dich trösten!“[4] 50 Jahre im Exil bedeuten eben auch: 50 Jahre Zeit, um Vertrauen zu lernen. Habt Vertrauen! Die Zeit des Exils wird nicht ewig dauern. Es kommen wieder bessere Zeiten. Denn Gott hat Erbarmen mit seinem Volk. Das Volk, das die Verschleppung und Verbannung als Strafe für seine Sünden empfunden hat, wird von Gott selbst heimgeführt. Die einst als Sklaven in Ketten gelegt und zu Fuß von ihren Feinden fortgetrieben wurden, kehren nun, wie in einem Triumphzug auf königlicher Sänfte getragen, in die Heimat zurück. Gott selbst ebnet ihnen den Weg durch die Wüste, indem er Bergen, Hügeln und Tälern befiehlt, sich zu senken bzw. zu heben.[5] Bäume wachsen in der Wüste und spenden den Heimkehrenden Schatten.
In den Jahrhunderten, die seit der Rückkehr aus dem Exil vergangen sind, hat das Volk Israel erfahren: Keine Krise dauert ewig. Es hat erfahren, dass Gott auch in den dunkelsten Momenten an seiner Seite ist. Es hat gelernt, Gott zu vertrauen.
In einem poetischen Text von Stefan Scholz, Priester der Dompfarrei Frankfurt, habe ich folgende Zeilen gefunden:
Nein, Gott hatte Israel nicht verlassen.
Lange schien es so,
aber nein, Gott ist da.
Im Advent erinnern wir Christen uns
des Todeskampfes der Israeliten
während des Exils in Babylon,
lange vor unserer Zeit.
Im Advent hören wir von den Visionen
eines besseren Lebens,
wie das Buch Baruch sie malt in Bildern,
die uns heute noch anrühren.
Die alten Texte sagen uns,
dass Advent mehr ist
als Warten auf einen Weihnachtsfeiertag.
Advent meint eine Lebenshaltung.
[…]
Advent nährt die Hoffnung,
dass dieser Gott in gottloser Welt da ist,
mit uns geht,
uns die Wege ebnet,
Schatten spendet,
uns Mensch sein lässt.[6]
Auch wenn es oft so scheint: Keine Krise dauert ewig – nicht die persönlichen, nicht die globalen. Vielleicht sind sie die einzige Chance, Vertrauen zu lernen. „Es kommen bessere Zeiten!“ – das ist keine banale Trostfloskel, sondern Ausdruck von Hoffnung und Vertrauen. „Es kommen bessere Zeiten!“ – das ist Advent.
[1] Bar 4,5 Israel – Bedeutung „Gott kämpft“
[2] Bar 4, 21.28
[3] Jerusalem – Bedeutung „Stadt des Friedens“
[4] Bar 4,30
[5] Baruch und Johannes der Täufer zitieren dieselbe Stelle aus dem Buch Jesaja (Jes 40,3 f.), doch stellen sie das Zitat in einen jeweils anderen Kontext: Aus der Sicht Baruchs ebnet Gott selbst den Weg für sein Volk, während Johannes der Täufer die Menschheit aufruft, den Weg für Gott ebnen. Es gibt also eine Bewegung in zwei Richtungen. Doch unser Weg zu Gott ist nur möglich, weil er zuerst auf uns zugekommen ist. Gott bereitet uns den Weg, damit wir ihm den Weg in unser Leben bereiten können.
[6] Den ganzen Text finden Sie in: Stefan Scholz: Nacht-Sicht – Texte zu Advent und Weihnachten. Verlag Friedrich Pustet