von Monika Tenambergen
Ich weiß nicht, was Sie dachten und fühlten, als Sie am 15. Dezember in den Nachrichten hörten, dass 3 israelische Geiseln in Gaza durch israelische Soldaten versehentlich getötet wurden. Mein erster Gedanke: das darf nicht wahr sein! Mein zweiter Gedanke und mein Mitgefühl gingen zu den hinterbliebenen Familien und zu den Soldaten, die geschossen haben. Wie werden sie mit diesem Unglück fertig werden und weiterleben?
Krieg ist grausam – für alle Seiten!
Ich denke darüber nach, wie ich als Mutter fühlen und reagieren würde und gleichzeitig versuche ich, mich in die Lage der 19-/20-jährigen Soldaten hinein zu versetzen. Werden sie sich selbst das jemals verzeihen können?
Dann lese ich im Berliner Tagesspiegel: „Ein Beispiel nehmen an Iris Haim: Wir brauchen eine Leitkultur des Verzeihens – Eine Mutter verzeiht den Menschen, die ihren Sohn getötet haben.“ Keine Rachegefühle, nur tiefste Trauer und brennender Schmerz und dennoch kein Versinken darin, sondern die Fähigkeit, sich in die Lage derer zu versetzen, die, wenngleich auf andere Weise, auch betroffen sind. Lesen Sie den Artikel hier.
In einem Interview erzählt Iris Haim von der Schiwa, der siebentägigen Trauerzeit im Judentum nach dem Tag der Beerdigung. Die Trauerfamilie ist in diesen sieben Tagen zuhause und Familie, Freunde, Nachbarn kommen um ihr Mitgefühl zu zeigen, um zu trösten, um Halt zu geben und um gemeinsam zu essen als Zeichen dafür, dass das Leben weitergeht.
Wahrscheinlich wird es nicht mehr in allen jüdischen Familien so praktiziert, aber traditionell sitzt man während der Schiwa auf niedrigen Schemeln oder sogar auf dem Boden. Abgeleitet wird diese Tradition aus dem Buch Hiob, wo es heißt: „Die drei Freunde Ijobs hörten von all dem Bösen, das über ihn gekommen war. Und sie kamen, jeder aus seiner Heimat: Elifas aus Teman, Bildad aus Schuach und Zofar aus Naama. Sie vereinbarten hinzugehen, um ihm ihre Teilnahme zu bezeigen und um ihn zu trösten. Als sie von fern aufblickten, erkannten sie ihn nicht; sie schrien auf und weinten. Jeder zerriss sein Gewand; sie streuten Asche über ihr Haupt gegen den Himmel. Sie saßen bei ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und keiner sprach ein Wort zu ihm. Denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.“ (Hiob 2,11-13)
Zur Familie von Iris Haim kamen hunderte Menschen aus dem ganzen Land. In ihrer Botschaft an die Soldaten, die ihren Sohn getötet hatten, hatte sie ihnen versichert, dass sie sie nicht verurteilt, sie nicht und auch nicht ihr Mann Raviv, nicht ihre Tochter Noya, und nicht Tuval, Yotams Bruder. Sie hatte sie eingeladen, sie zu besuchen. Und tatsächlich kamen sie während der Schiwa. Es kam zu einer Begegnung wie zwischen einer Mutter und ihren Söhnen. Sie umarmen sich, sie weinen miteinander, sie erzählen von Yotam, sie trösten einander, sie geben einander Halt und richten einander auf. Sie erheben sich sprichwörtlich von ihren Schiwa-Schemeln, tragen das Leid gemeinsam und blicken trotz aller Trauer miteinander hoffnungsvoll in die Zukunft.
Für mich ist Iris Haim eine Heldin, eine Heldin ohne Umhang. Sie hat sich entschieden, in der dunkelsten Zeit ihres Lebens nicht zu verzweifeln, sondern das Licht zu suchen und zu teilen. Selbst als säkulare Jüdin – sie wurde nicht religiös erzogen – ist sie mir, wie Johannes der Täufer, eine Zeugin jenes göttlichen Lichts, das in die Welt kam, um die Finsternis der Welt und die Herzen der Menschen zu erleuchten. (Joh 1,1-17)