von Gemeindereferentin Monika Tenambergen
Als wir am vorigen Samstagabend im Gottesdienst aufgefordert wurden, unserem Traum von Kirche nachzuspüren und für ein paar Minuten mit unserem Nachbarn darüber zu sprechen, fand ich es im ersten Augenblick gar nicht so einfach, dazu etwas zu sagen.
Was ist mein Traum von Kirche?
Als erstes kamen mir Bilder von meinen Erfahrungen in Taizé in den Sinn. Auf dem kleinen Hügel in Burgund treffen sich Jahr für Jahr tausende meist junge Menschen, die auf der Suche nach echter Gemeinschaft sind – die sich fragen, worin der Sinn des Lebens besteht – die in ihrer Sehnsucht nach Gott stundenlang in der Kirche auf dem Boden sitzen und in seiner Gegenwart verweilen – die versuchen, die Welt zu gestalten, damit sie menschlicher, friedlicher und solidarischer wird. Oft kommen sie aus Konfliktregionen unserer Erde und suchen Wege zum Frieden und zu Versöhnung.
Wer welcher Konfession oder Religion angehört, spielt in Taizé meist keine Rolle – und wenn doch, dann eine bereichernde, keine trennende. Wichtig ist einzig und allein Gott im Zentrum der Gemeinschaft. Die von so vielen ersehnte Einheit der Kirchen, ja der Menschheit wird hier schon lange gelebt. Für mich ist dies eine im wahrsten Sinne des Wortes katholische, d.h. allumfassende Erfahrung von Kirche.
In unserer „Nachbarschaft“ in der Kirchenbank träumten wir weiter von einer Kirche, die in Freiheit handeln kann mit viel, viel weniger Strukturen und viel, viel weniger Administration. Wir brauchen Strukturen – aber solche, die Seelsorge ermöglichen und nicht einengen wie ein Korsett. Manchmal habe ich den Eindruck, administrative Vorschriften sind wie in Stein gemeißelt und wichtiger als die Zehn Gebote. Leonardo Boff, Befreiungstheologe aus Brasilien, sagte einmal im Blick auf die festgefahrenen Strukturen der Kirche: „Wenn wir uns nicht ändern, werden wir aussterben wie die Dinosaurier.“ Und er meinte damit weit mehr als nur die Verwaltungsstrukturen … Hoffentlich bekommen wir noch rechtzeitig die Kurve!
Leider war die „Traumzeit“ an diesem Punkt schon zu Ende und der Gottesdienst ging weiter. Ich hätte mich mit meinen Gesprächspartnern gern noch weiter ausgetauscht …
Die Frage nach meinem Traum von Kirche geht mir noch nach. Dabei kommt mir ein Traum in den Sinn, den vor mehr als 800 Jahren kein geringerer als der Hl. Franziskus geträumt hat. In der Stille der kleinen, schon halb verfallenen Kirche San Damiano bei Assisi war Franziskus ins Gebet vertieft, als er vom Kreuz herab die Worte Jesu hörte: „Franziskus, geh und richte meine Kirche wieder auf, die, wie du siehst, in Trümmern liegt.“ Er verstand diese Aufforderung Jesu zunächst im wörtlichen Sinn, nämlich das Gebäude Stein für Stein wiederaufzubauen. Eifrig begann er damit, nicht nur San Damiano, sondern auch andere verfallene Kirchen in der Umgebung von Assisi wiederherzustellen. Erst später erfasste er den eigentlichen Sinn dieses Auftrags Jesu, nämlich die geistliche Erneuerung der Kirche.
Diesen Auftrag erkannte er nicht in einem Augenblick, sondern durch einen Prozess der eigenen Wandlung. Immer wieder suchte er die Stille und Zeiten der Einsamkeit. Im Gebet und in der Betrachtung des Evangeliums begann seine kirchliche Reformbewegung mit der „Reform“ seiner eigenen Person. Dies führte ihn schließlich in einen jesuanischen Lebensstil, den er ganz und gar aus dem Evangelium ableitete und übernahm. Bald schlossen sich ihm die ersten Gefährten an, und es dauerte nicht lange, bis sich der franziskanische Spirit in ganz Europa verbreitete. Schon 20 Jahre nach Franziskus Kirchentraum in San Damiano wurde 1225 in Lübeck das Franziskanerkloster St. Katharinen gegründet!
Der Kirchentraum von Franziskus ermutigt mich, daran zu glauben, dass auch die Kirche in Deutschland und in unseren Gemeinden wieder wachsen kann. In der 2. Lesung dieses Sonntags heißt es im Korintherbrief: „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“
Ich träume von einer Kirche, in der alle dem Geist Gottes ihr Herz öffnen und sich von ihm wandeln lassen. Das erfordert Mut und kann ein ganz schönes Abenteuer werden. Aber es macht uns frei. Wir müssten nicht mehr krampfhaft festhalten, was wir haben, sondern könnten darauf vertrauen, dass Gott seine Kirche nicht einstürzen lässt und ihr Zukunft gibt.
Am kommenden Mittwoch beginnt mit dem Aschermittwoch die Fastenzeit. Sie soll eine Zeit der Erneuerung und Vertiefung der Beziehung zu Gott und den Menschen sein. Vielleicht ist es eine gute Gelegenheit, sich im Stil des Hl. Franziskus reformieren zu lassen!