Predigt zum 19. Sonntag im Jahreskreis

Lesejahr C | von Diakon Tobias Riedel

Foto: Tobias Riedel

Evangelium: Lukas 12, 32-48 (Kurzfassung)

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern:

35 Eure Hüften sollen gegürtet sein und eure Lampen brennen!

36 Seid wie Menschen, die auf ihren Herrn warten, der von einer Hochzeit zurückkehrt, damit sie ihm sogleich öffnen, wenn er kommt und anklopft!

37 Selig die Knechte, die der Herr wach findet, wenn er kommt! Amen, ich sage euch: Er wird sich gürten, sie am Tisch Platz nehmen lassen und sie der Reihe nach bedienen.

38 Und kommt er erst in der zweiten oder dritten Nachtwache und findet sie wach – selig sind sie.

39 Bedenkt: Wenn der Herr des Hauses wüsste, in welcher Stunde der Dieb kommt, so würde er verhindern, dass man in sein Haus einbricht.

40 Haltet auch ihr euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet.

 

Predigt

Liebe Schwestern und liebe Brüder!

Wer – wie ich – in den Sommerferien in Dänemark unterwegs war, konnte an vielen Straßen gelbe Schilder mit schwarzer Schrift entdecken. Klar til et pust?, stand in großen Lettern darauf, zu Deutsch: Bist du bereit zu pusten? Mit dieser Kampagne appelliert die dänische Polizei derzeit an alle Autofahrer, sich nicht alkoholisiert ans Steuer zu setzen und warnt vor den strengen Konsequenzen, falls man doch bei einer Kontrolle erwischt wird.

Im heutigen Evangelium konfrontiert uns Jesus auch – bildlich gesprochen – mit einem gelben Schild mit schwarzer Schrift: Bist du bereit, vor den Menschensohn zu treten? Eine ernste Frage, die sich jede und jeder stellen und ganz persönlich beantworten sollte. In der Predigt heute möchte ich in diesem Kontext auf drei Punkte hinweisen:

Erstens: Wann kommt er denn, der Menschensohn? In der frühen Kirche waren die Christen überzeugt, Jesus werde sehr bald schon wiederkommen. Die Theologie bezeichnet diese Vorstellung als „Naherwartung“. Auch der Evangelist Lukas dachte vermutlich so. Schon bald, vielleicht in einigen Jahren oder allenfalls Jahrzehnten, werde der Auferstandene erscheinen und ein für allemal seine Herrschaft aufrichten. Dann werde es ein Gericht geben, bei dem alle Menschen mit ihrem Leben konfrontiert werden. Für manche werde dies vielleicht eine positive, für andere sicherlich eine sehr schmerzhafte Erfahrung sein. – Allein: In dieser Form ist die Wiederkunft Christi bis heute ausgeblieben. Deshalb trat mit der Zeit die Vorstellung in den Vordergrund, die Begegnung mit dem Menschensohn werde sich nicht für alle Menschen gleichzeitig am jüngsten Tag, sondern individuell in der Todesstunde eines jeden ereignen. Im Tod – so lehrt es die Eschatologie heute – werden wir Christus begegnen. Er wird jeden Menschen liebevoll anschauen. Doch im Licht seiner Liebe wird uns bewusstwerden, wo es uns an Liebe gefehlt hat. So verstanden, erhält die Frage auf dem imaginären Plakat eine besondere Schärfe. Sie lautet dann schlicht: Bist du bereit zu sterben? Wer kann darauf schon aus vollem Herzen mit „Ja“ antworten … Doch irgendwann, früher oder später, wird es so weit sein.

Zweitens: Was heißt es denn, bereit zu sein für die Begegnung mit dem Auferstandenen? Im Evangelium ist davon die Rede, die Jünger Jesu sollten sein „wie Menschen, die auf ihren Herrn warten“ und „ihm sogleich öffnen, wenn er kommt und anklopft“. Doch was bedeuten diese Bilder konkret? Beim Nachdenken darüber kommt mir die Frage des Gesetzeslehrers in den Sinn, die wir vor vier Wochen gehört haben: „Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben?“[1] Jesus antwortet darauf bekanntlich mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Was letztlich zählt – so will er damit wohl sagen – ist Barmherzigkeit. „Wach“ und „mit brennender Lampe“ auf das Kommen des Herrn zu warten, bedeutet konkretes Engagement für Mitmenschen und Mitgeschöpfe in Not. „Hast Du es vermocht, inmitten einer oft unmenschlichen Welt Mensch zu bleiben?“ Ich bin überzeugt: Danach wird mich der Menschensohn einst fragen – alles andere ist sekundär.

Drittens: Fürchtet euch nicht! Ich denke, wir verstehen das heutige Evangelium gründlich miss, wenn es bei uns Gefühle von Angst auslöst. Ja, der Text schlägt einen ernsten Ton an – aber nicht, weil er Ängste schüren möchte, sondern weil er uns deutlich machen möchte, worauf es ankommt. Jesus möchte, dass unser Leben gelingt – und das wird es absehbar nicht, wenn wir den Versuchungen von Ehre, Macht und Besitz erliegen.[2] Stattdessen sind wir Menschen fähig zur Liebe – und damit berufen, die Liebe zu leben. Angst vor der Begegnung mit dem Menschensohn im Tod brauchen wir jedoch nicht zu haben – denn wir müssen uns am Ende unserer Tage eben nicht vor einer anonymen Macht rechtfertigen, sondern vor Jesus: unserem Freund, unserem Wegbegleiter, unserem Bruder. Derselbe Jesus, der zu der Ehebrecherin, die auf frischer Tat ertappt worden war, gesagt hat: „Auch ich verurteile dich nicht“[3], wird einst mein Richter sein. Daraus schöpfe ich meine Hoffnung, trotz meiner Fehler, meiner Untätigkeit, meiner Schuld.

Amen.[4]

[1] Lk 10,25

[2] vgl. Lk 4,1-13 par.

[3] Joh 8,11

[4] Gehalten am 06.08.2022 in Großhansdorf, am 07.08.2022 in Ahrensburg und veröffentlicht am 05.08.2022 auf www.sankt-ansverus.de

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