Predigt zum 5. Sonntag der Osterzeit A

von Diakon Tobias Riedel

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Erste Lesung: Apostelgeschichte 6, 1-7

1 In diesen Tagen, als die Zahl der Jünger zunahm, begehrten die Hellenísten gegen die Hebräer auf, weil ihre Witwen bei der täglichen Versorgung übersehen wurden.

2 Da riefen die Zwölf die ganze Schar der Jünger zusammen und erklärten: Es ist nicht recht, dass wir das Wort Gottes vernachlässigen und uns dem Dienst an den Tischen widmen.

3 Brüder, wählt aus eurer Mitte sieben Männer von gutem Ruf und voll Geist und Weisheit; ihnen werden wir diese Aufgabe übertragen.

4 Wir aber wollen beim Gebet und beim Dienst am Wort bleiben.

5 Der Vorschlag fand den Beifall der ganzen Gemeinde und sie wählten Stéphanus, einen Mann, erfüllt vom Glauben und vom Heiligen Geist, ferner Philíppus und Próchorus, Nikánor und Timon, Parménas und Nikolaus, einen Proselýten aus Antióchia.

6 Sie ließen sie vor die Apostel hintreten und diese legten ihnen unter Gebet die Hände auf.

7 Und das Wort Gottes breitete sich aus und die Zahl der Jünger in Jerusalem wurde immer größer; auch eine große Anzahl von den Priestern nahm gehorsam den Glauben an.

 

Predigt

Liebe Schwestern und liebe Brüder!

In diesen Wochen der Osterzeit hören wir Sonntag für Sonntag einen Abschnitt aus der Apostelgeschichte, heute aus dem 6. Kapitel. In der Predigt möchte ich mir diesen Text gemeinsam mit Ihnen genauer anschauen, weil er nicht nur von historischem Interesse ist, sondern auch uns als Gemeinde Jesu Christi heute wichtige Impulse geben kann.

In der antiken Gesellschaft des Mittelmeerraums war die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau klar: Der Mann war der Ernährer der Familie, die Frau kümmerte sich um Haus, Hof und Kinder. Wenn der Mann starb, drohte der Frau der wirtschaftliche Ruin, denn das Einkommen fiel von einem Tag auf den anderen weg, eine Witwenrente oder dergleichen gab es nicht. Nicht umsonst schrieb das Gesetz des Mose deshalb vor, der Bruder des Verstorbenen solle die Witwe heiraten, um so ihren Lebensunterhalt zu sichern.[1] Doch nicht immer war ein Bruder zur Stelle … Oft zog der Tod des Mannes den sozialen Absturz der Familie nach sich.

Auch in den frühchristlichen Gemeinden war die tägliche Versorgung der Witwen ein Problem. Hier kamen sehr unterschiedliche Menschen[2] aus allen sozialen Schichten zusammen. Für die Christen war es unvorstellbar, miteinander Gottesdienst zu feiern, solange einigen von ihnen der Magen knurrte … Deshalb ging der Feier der Eucharistie oft ein Sättigungsmahl voraus:[3] Die tägliche Versorgung der Witwen[4] – oder ganz allgemein: der Armen – war den Christen ein wichtiges Anliegen. Zunächst, so klingt es in der heutigen Lesung an, scheinen sich die Apostel selbst darum gekümmert zu haben. Doch die Gemeinden wachsen rasant, und bald sind die Apostel so sehr vom Dienst an den Tischen in Anspruch genommen, dass sie den Dienst am Wort nolens volens vernachlässigen. Eine Lösung muss her – und so wird beschlossen, sieben geeignete Gemeindemitglieder verbindlich und dauerhaft mit der Versorgung der Armen zu betrauen.

Wir sehen: Schon sehr früh bilden sich in der Kirche zwei spezifische Dienste heraus, die beide gleichermaßen unverzichtbar sind, nämlich einerseits die Gemeindeleitung einschließlich der Leitung der Gottesdienste und der Verkündigung und andererseits die konkrete Sorge für die Armen und Notleidenden. Im Laufe der Zeit entwickeln sich aus diesen beiden Diensten die Ämter des Bischofs bzw. des Diakons. Vom Amt des Priesters ist – nebenbei bemerkt – in der frühen Kirche noch nicht die Rede, es entwickelt sich erst später, vor allem nach der Konstantinischen Wende, als christliche Gemeinden wie Pilze aus dem Boden sprießen, die jeweils von Bevollmächtigten der Bischöfe geleitet werden.

Was können wir aus dem Text lernen? Mich fasziniert, welch hohen Stellenwert die Versorgung der Armen in den frühchristlichen Gemeinden hatte. Die sozialen Unterschiede innerhalb der Gemeinden wurden nicht als gegeben hingenommen, sondern es wurde – ganz im Gegenteil – eine verbindliche Struktur geschaffen, um sie so weit wie möglich zu lindern. Das Leben in Fülle[5], von dem Johannes einige Jahrzehnte später schreibt, wird nicht nur spirituell verstanden, sondern ist in der Diakonie der Gemeinden konkret erfahrbar.

Die Realität in vielen Gemeinden heute sieht leider anders aus: Gottesdienst und Katechese haben oft einen hohen Stellenwert – die Diakonie hingegen, die praktische Hilfe für Menschen in Not, wird nicht selten an die institutionelle Caritas oder den Sozialstaat delegiert oder gerät sogar ganz aus dem Blick. Umso dankbarer bin ich allen Menschen, die sich in unserer Pfarrei diakonisch engagieren – in der Flüchtlingsarbeit, in den Besuchsdiensten oder im Engagement für unsere Partnergemeinden in der Einen Welt.

Was können wir aus der heutigen Lesung hingegen nicht ableiten? Stephanus, Philippus, Próchorus, Nikánor, Timon, Parménas und Nikolaus – sieben Männer. Bedeutet die Tatsache, dass die Apostel ausschließlich Männer für den Dienst an den Tischen beauftragen, dass es für alle Zeiten keine Diakoninnen geben darf? Schließlich gab es ja Frauen in den frühchristlichen Gemeinden, doch die Apostel haben sie nicht berücksichtigt … Mit Verlaub, ich halte eine derartige Argumentation für Unsinn:[6] Was aus kulturellen Gründen in der Antike undenkbar war – nämlich, dass Frauen verantwortungsvolle Aufgaben in der Öffentlichkeit übernahmen – ist heutzutage in vielen Teilen der Welt eine Selbstverständlichkeit. Vielleicht setzt sich dieses Denken eines Tages ja auch in unserer Kirche durch. Ich jedenfalls hoffe, dass bald – und nicht erst am St. Nimmerleins-Tag – im St. Marien-Dom in Hamburg eine Frau zur Diakonin geweiht wird.

Amen.

[1] Auf dieser Situation fußt die Perikope Lk 20,27 ff. par.

[2] vgl. Gal 3,28

[3] vgl. 1 Kor 11,17 ff.

[4] vgl. Apg 6,1

[5] Joh 10,10

[6] Auch weitere Argumente gegen die Weihe von Frauen überzeugen nicht, etwa der Hinweis, eine Repraesentatio Christi sei nur Männern in angemessener Weise möglich, weil Gott sich in Jesus als Mann inkarniert habe. Es entsteht der Eindruck, dass hier kulturelle – und damit zeitbedingte – Rahmenbedingungen der Antike nachträglich überhöht und dogmatisch festgeschrieben werden sollen. Darüber hinaus gilt inzwischen als gesichert, dass es in der frühen Kirche sowohl Apostelinnen (vgl. Röm 16,7) als auch Diakoninnen (vgl. Röm 16,1) gegeben hat.

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