von Diakon Tobias Riedel
Evangelium: Joh 18,33-37
33 Pilatus ging wieder in das Prätorium hinein, ließ Jesus rufen und fragte ihn: Bist du der König der Juden?
34 Jesus antwortete: Sagst du das von dir aus oder haben es dir andere über mich gesagt?
35 Pilatus entgegnete: Bin ich denn ein Jude? Dein Volk und die Hohepriester haben dich an mich ausgeliefert. Was hast du getan?
36 Jesus antwortete: Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. Wenn mein Königtum von dieser Welt wäre, würden meine Leute kämpfen, damit ich den Juden nicht ausgeliefert würde. Nun aber ist mein Königtum nicht von hier.
37 Da sagte Pilatus zu ihm: Also bist du doch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.
Predigt
Liebe Schwestern und liebe Brüder!
„Also bist du doch ein König?“, wird Jesus von Pilatus im Johannes-Evangelium gefragt. Wir haben es gerade gehört. Und Jesus redet nicht lange darum herum, sondern bekennt sich klar zu seinem Königtum: „Du sagst es, ich bin ein König.“
Doch was bedeutet das? Was bedeutet es, wenn Jesus, der Wanderprediger, der da in einfacher Kleidung vor dem römischen Statthalter steht, sich als König bezeichnet? Ich denke, wir finden eine Antwort, wenn wir uns klar machen, welche Aufgaben die Könige Israels in biblischen Zeiten hatten – nämlich vor allem zwei:
Erstens: Die Könige Israels waren Richter. Wenn es untereinander ernsthafte Streitigkeiten gab, war es Aufgabe des Königs, Recht zu sprechen und so für Frieden im Inneren zu sorgen.
Jesus, der Richter? Ja, genau das glauben wir. Wenn wir eines Tages sterben, werden wir mit unserem Leben konfrontiert werden – mit allem, was uns gelungen und was uns misslungen ist. Mit allen Situationen, in denen wir Liebe gelebt und Liebe haben vermissen lassen. Diese Konfrontation mit unserer eigenen Biografie wird sicherlich schmerzhaft sein, denn sie beschönigt nichts, sie hält uns ehrlich den Spiegel vor. Und doch ist es notwendig, das eigene Versagen klar zu erkennen und an dem Leid zu leiden, das wir anderen Menschen oder der Schöpfung zugefügt haben, denn nur so können wir zu dem Menschen heranreifen, als den Gott uns von Anfang an gewollt hat.
Müssen wir vor diesem Gericht Angst haben? Ich denke, es wird eine schmerzhafte Erfahrung sein – und doch haben wir einen großen Trost: Wir müssen uns nicht vor einer anonymen Macht rechtfertigen, sondern vor Jesus, unserem Bruder. Die Begegnung mit ihm wird uns zum Guten verändern.
Zweitens: Die Könige Israels waren Heerführer. Wenn Israel mit anderen Völkern in Konflikt geriert, war es Aufgabe des Königs, mit Diplomatie oder notfalls sogar Waffengewalt Sicherheit im Äußeren zu garantieren.
Jesus, der Heerführer? Dieses Bild scheint auf den ersten Blick völlig abwegig. Und doch steckt auch darin etwas Wahres: Denn nach christlicher Überzeugung ist es eben Jesus Christus, der den Fortbestand der Welt – und damit Sicherheit im Äußeren par excellence – garantiert, allem Leid zum Trotz. Ich will Ihnen erklären, wie ich das meine:
Wenn wir auf unsere Welt schauen, gerade in diesen Tagen, ist es zum Verzweifeln: In der Ukraine, im Nahen Osten und an unzähligen weiteren Orten der Welt herrscht Krieg. Das Engagement gegen die globale ökologische Krise lässt zu wünschen übrig, deshalb schreiten Klimawandel und Artensterben weiter voran. Und nicht zuletzt kommt es derzeit zu politischen Verwerfungen, Populisten und antidemokratische Kräfte sind auf dem Vormarsch. Viele Menschen fragen sich bang: Wie soll das enden? Die Verunsicherung ist mit Händen zu greifen.
In diese Situation hinein formulieren Christen ihr Credo: Wir wollen den Zustand der Welt nicht schönreden – wir sehen das Leid unserer Mitmenschen und unserer Mitwelt. Glasklar. Und dennoch glauben wir an einen Gott, für den alles möglich ist.[1] Und dennoch glauben wir an einen Gott, der die Liebe ist.[2] Und aus dieser Glaubensüberzeugung schöpfen wir unsere Hoffnung: Die Welt wird nicht den Bach runter gehen – es wird letztlich gut enden.
Woher nehmen wir diese Hoffnung? Das Trilemma der Theodizee[3], das hier anklingt, lässt sich mit Logik nicht lösen. Doch unsere Hoffnung ruht nicht auf Logik, sondern auf Erfahrungen, die viele Menschen in den letzten dreitausend Jahren mit Gott gemacht haben – insbesondere mit Jesus, dem Christus. Die Bibel ist voll davon: ER ist das Wort, durch das alles geworden ist.[4] ER ist der gute Hirt, der die Herde nie im Stich lässt.[5] Und ER ist der Retter der Welt, vom Vater gesandt.[6]
Stellen wir uns vor, Pilatus würde uns fragen: „Also ist er doch ein König?“ Nach diesen Überlegungen können wir ihm antworten, klar und eindeutig, ohne lange darum herumzureden: „Du sagst es, er ist ein König.“
Amen.
[1] vgl. Mt 19,26
[2] vgl. 1 Joh 4,16
[3] Die Theodizee-Frage lässt knapp wie folgt formulieren: Ist es vernünftig, angesichts des Leids in der Welt an einen guten und allmächtigen Gott zu glauben?
[4] vgl. Joh 1,3
[5] vgl. Joh 10,11 ff.
[6] vgl. 1 Joh 4,14