Predigt von Diakon Tobias Riedel
Lesung: Gen 1,1-2,4a
1,1 Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde. 2 Die Erde war wüst und wirr und Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. 3 Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. 4 Gott sah, dass das Licht gut war. Und Gott schied das Licht von der Finsternis. 5 Und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend und es wurde Morgen: erster Tag.
6 Dann sprach Gott: Es werde ein Gewölbe mitten im Wasser und scheide Wasser von Wasser. 7 Gott machte das Gewölbe und schied das Wasser unterhalb des Gewölbes vom Wasser oberhalb des Gewölbes. Und so geschah es. 8 Und Gott nannte das Gewölbe Himmel. Es wurde Abend und es wurde Morgen: zweiter Tag.
9 Dann sprach Gott: Es sammle sich das Wasser unterhalb des Himmels an einem Ort und das Trockene werde sichtbar. Und so geschah es. 10 Und Gott nannte das Trockene Land und die Ansammlung des Wassers nannte er Meer. Gott sah, dass es gut war. 11 Dann sprach Gott: Die Erde lasse junges Grün sprießen, Gewächs, das Samen bildet, Fruchtbäume, die nach ihrer Art Früchte tragen mit Samen darin auf der Erde. Und so geschah es. 12 Die Erde brachte junges Grün hervor, Gewächs, das Samen nach seiner Art bildet, und Bäume, die Früchte tragen mit Samen darin nach ihrer Art. Gott sah, dass es gut war. 13 Es wurde Abend und es wurde Morgen: dritter Tag.
14 Dann sprach Gott: Lichter sollen am Himmelsgewölbe sein, um Tag und Nacht zu scheiden. Sie sollen als Zeichen für Festzeiten, für Tage und Jahre dienen. 15 Sie sollen Lichter am Himmelsgewölbe sein, um über die Erde hin zu leuchten. Und so geschah es. 16 Gott machte die beiden großen Lichter, das große zur Herrschaft über den Tag, das kleine zur Herrschaft über die Nacht, und die Sterne. 17 Gott setzte sie an das Himmelsgewölbe, damit sie über die Erde leuchten, 18 über Tag und Nacht herrschen und das Licht von der Finsternis scheiden. Gott sah, dass es gut war. 19 Es wurde Abend und es wurde Morgen: vierter Tag.
20 Dann sprach Gott: Das Wasser wimmle von Schwärmen lebendiger Wesen und Vögel sollen über der Erde am Himmelsgewölbe fliegen. 21 Und Gott erschuf die großen Wassertiere und alle Lebewesen, die sich fortbewegen nach ihrer Art, von denen das Wasser wimmelt, und alle gefiederten Vögel nach ihrer Art. Gott sah, dass es gut war. 22 Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und mehrt euch! Füllt das Wasser im Meer und die Vögel sollen sich auf Erden vermehren. 23 Es wurde Abend und es wurde Morgen: fünfter Tag.
24 Dann sprach Gott: Die Erde bringe Lebewesen aller Art hervor, von Vieh, von Kriechtieren und von Wildtieren der Erde nach ihrer Art. Und so geschah es. 25 Gott machte die Wildtiere der Erde nach ihrer Art, das Vieh nach seiner Art und alle Kriechtiere auf dem Erdboden nach ihrer Art. Gott sah, dass es gut war. 26 Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich! Sie sollen walten über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere, die auf der Erde kriechen. 27 Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie. 28 Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die Erde und unterwerft sie und waltet über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die auf der Erde kriechen! 29 Dann sprach Gott: Siehe, ich gebe euch alles Gewächs, das Samen bildet auf der ganzen Erde, und alle Bäume, die Früchte tragen mit Samen darin. Euch sollen sie zur Nahrung dienen. 30 Allen Tieren der Erde, allen Vögeln des Himmels und allem, was auf der Erde kriecht, das Lebensatem in sich hat, gebe ich alles grüne Gewächs zur Nahrung. Und so geschah es. 31 Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Und siehe, es war sehr gut. Es wurde Abend und es wurde Morgen: der sechste Tag.
2,1 So wurden Himmel und Erde und ihr ganzes Heer vollendet. 2 Am siebten Tag vollendete Gott das Werk, das er gemacht hatte, und er ruhte am siebten Tag, nachdem er sein ganzes Werk gemacht hatte. 3 Und Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn; denn an ihm ruhte Gott, nachdem er das ganze Werk erschaffen hatte. 4a Das ist die Geschichte der Entstehung von Himmel und Erde, als sie erschaffen wurden.
Predigt
Liebe Schwestern und Brüder!
Am Ostermontag ist Papst Franziskus gestorben. Seitdem trauern Menschen weltweit um diesen großen Papst – auch ich.
Was war Franziskus wichtig? Was hat er mir persönlich, der Kirche, der Welt ins Stammbuch geschrieben? Welche Akzente hat er gesetzt? Über diese Fragen habe ich in den letzten Wochen nachgedacht. Es scheint mir wichtig, eine Antwort zu formulieren, damit seine Impulse nun nicht verpuffen, sondern damit wir seine Mission fortsetzen können.
Ich denke, Franziskus hat in seinem Pontifikat vor allem drei Schwerpunkte gesetzt: Erstens Evangelisierung, zweitens Synodalität und drittens die Bewahrung der Schöpfung, eng verknüpft mit der Frage nach Gerechtigkeit. Zur Evangelisierung habe ich mich bereits vor acht Wochen in einer Predigt geäußert, Sie finden den Text noch auf der Website unserer Pfarrei. Eine Predigt zur Synodalität folgt demnächst – heute soll es um die Bewahrung der Schöpfung und die Frage nach Gerechtigkeit gehen.
Doch wie soll man einem so komplexen Thema in einer Predigt von nur zehn Minuten gerecht werden? Franziskus hat sich dazu unter anderem in seiner Enzyklika Laudato si’ aus dem Jahr 2015 und seinem Apostolischen Schreiben Laudate Deum aus dem Jahr 2023 geäußert, doch beide Texte zusammen umfassen über 200 Seiten … Deshalb wähle ich heute einen anderen – einen biblischen – Zugang zum Thema.
Die ersttestamentliche Lesung, die wir gerade[1] gehört haben, steht ganz am Anfang der Bibel, im Buch Genesis.[2] Sie alle kennen den Text, Jahr für Jahr wird er in der Osternacht gelesen. Entstanden ist er im bzw. kurz nach den Babylonischen Exil des Volkes Israel, also vor rund 2.500 Jahren. Klar ist: Es handelt sich dabei nicht um einen historischen oder naturwissenschaftlichen Bericht über die Entstehung der Welt. Stattdessen machen die Autoren Aussagen über die Beziehung zwischen Gott und seiner Schöpfung. Dazu möchte ich Ihnen heute sechs kurze Lesehilfen geben:
Erstens: Der Text beginnt mit dem Satz Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Dabei ist die Formulierung „im Anfang“ nicht zeitlich gemeint. Sie bedeutet vielmehr, dass Gott die Welt ins Dasein setzt. Gott macht den Anfang. Die Welt existiert nur, weil er es will. Er setzt den Schöpfungsprozess in Gang – und dieser Prozess dauert an bis heute.
Zweitens: Immer wieder heißt es im Lesungstext: Und Gott sah, dass es gut war. Was soll das heißen? Und warum wird es so betont? Ganz einfach: Gott steht seiner Schöpfung positiv gegenüber. Gott hat die Welt – anders als manche Menschen heute meinen – nicht nur ins Dasein gesetzt und dann ihrem Schicksal überlassen. Nein, die Schöpfung liegt ihm am Herzen! Deshalb ist er in der Welt bleibend zugegen und wird den Schöpfungsprozess, trotz aller Irrungen und Wirrungen, letztlich zu einem guten Ende führen. Wir dürfen also hoffen!
Drittens: Formal erinnert der Text an einen Hymnus. Er ist in sieben Abschnitte gegliedert, die sogenannten „Schöpfungstage“. Das Ende eines jeden Abschnitts ist markiert mit der wiederkehrenden Formulierung „Es wurde Abend und es wurde Morgen: erster (bzw. zweiter, dritter, vierter …) Tag.“ Der Text steigert sich, Zielpunkt des Textes ist jedoch nicht etwa die Erschaffung des Menschen, sondern die Ruhe Gottes nach Vollendung der von ihm gesegneten Schöpfung. Von der Erschaffung des Menschen ist am sechsten Schöpfungstag die Rede, quasi in einem Atemzug mit der Erschaffung des Viehs, der Kriechtiere und der Wildtiere … Mit anderen Worten: Der Mensch ist Teil der Schöpfung, Pflanzen und Tiere sind genauso von Gott geschaffen wie er – für Anthropozentrismus lässt der Text keinen Raum.
Viertens: Der Mensch wird von Gott „als Bild Gottes“ geschaffen. Das heißt, der Mensch ist in besonderer Weise Gott ähnlich: Er ist Person. Er verfügt über Bewusstsein und Gewissen. Und er ist, zumindest bis zu einem gewissen Grad, frei in seinem Handeln. So hat er unter allen Geschöpfen eine Sonderstellung, eine besondere Würde – doch das gibt ihm keineswegs das Recht, seine Mitgeschöpfe zu unterdrücken, auszubeuten oder gar zu töten. Im Gegenteil: Er hat Verantwortung für sie.
Fünftens: Besondere Beachtung verdienen die Verse 27 und 28a. Dort heißt es: „Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie. Gott segnete sie …“ Das bedeutet: Egal, ob männlich oder weiblich, beide sind ohne jede Einschränkung Mensch. Beiden gilt in gleicher Weise Gottes Segen. Damit spricht der Text Menschen, egal welchen Geschlechts, die gleiche Würde zu – und somit auch die gleichen Rechte. Eine Unterordnung des einen Geschlechts unter das andere lässt sich durch das Buch Genesis nicht begründen.
Sechstens: Eine besonders fatale Wirkungsgeschichte hat im Laufe der Jahrhunderte Vers 28b entfaltet. Dort spricht Gott zum Menschen: Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die Erde und unterwerft sie und waltet über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die auf der Erde kriechen! Oft wurde dieser Vers als Freibrief Gottes missverstanden, der Mensch dürfe die Schöpfung nach Belieben ausbeuten. Dabei ist etwas ganz anderes gemeint: Gott hat die Welt geschaffen – und gibt dem Menschen an seinem Schöpfungswerk Anteil. Der Mensch darf am Schöpfungswerk Gottes mitwirken, Voraussetzung ist aber, dass er die Schöpfung quasi mit Gottes Augen betrachtet, das heißt: durch und durch liebevoll. In moderneren Bibelübersetzungen[3] klingt das dann so: Seid fruchtbar und vermehrt euch! Füllt die ganze Erde und nehmt sie in Besitz! Ich setze euch über die Fische im Meer, die Vögel in der Luft und alle Tiere, die auf der Erde leben, und vertraue sie eurer Fürsorge an. Der Mensch – so das Buch Genesis – soll die Schöpfung nicht ausbeuten, sondern vielmehr behüten und bewahren.
Wir sehen: Die erste Schöpfungserzählung aus dem Buch Genesis, die wir Jahr für Jahr in der Osternacht hören, steht nicht umsonst ganz am Anfang der Bibel. Denn der Text macht grundlegende Aussagen über Gott und seine Schöpfung einschließlich des Menschen. Dieses jüdisch-christliche Gottes-, Welt- und Menschenbild ist die biblische Grundlage für die teils scharfe Kritik, die Papst Franziskus etwa in Laudato si‘ am Umgang des Menschen mit seinen Mitmenschen und der Natur äußert. Letztlich plädiert er dafür, dass wir uns bemühen, die Welt mit den Augen Gottes zu sehen: Dankbar gegenüber Gott, unserem Schöpfer – liebevoll gegenüber unseren Mitmenschen – und verantwortungsvoll gegenüber unseren Mitgeschöpfen.
Amen.
[1] abweichend von der Leseordnung, diese sieht Offb 1,9-11a.12-13.17-19 vor
[2] Gen 1,1-2,4a
[3] Gute Nachricht Bibel, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2018