Zum 15. Sonntag im Jahreskreis C 10. Juli 2022

1. Lesung: Dtn 30, 9c–14

Mose sprach zum Volk:
9c Der Herr wird dir Gutes tun.
10 Denn du hörst auf die Stimme des Herrn, deines Gottes, und
bewahrst seine Gebote und Satzungen, die in dieser Urkunde
der Weisung einzeln aufgezeichnet sind, und kehrst zum
Herrn, deinem Gott, mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele
zurück.
11 Denn dieses Gebot, auf das ich dich heute verpflichte, geht
nicht über deine Kraft und ist nicht fern von dir.
12 Es ist nicht im Himmel, sodass du sagen müsstest: Wer steigt
für uns in den Himmel hinauf, holt es herunter und verkündet
es uns, damit wir es halten können?
13 Es ist auch nicht jenseits des Meeres, sodass du sagen
müsstest: Wer fährt für uns über das Meer, holt es herüber und
verkündet es uns, damit wir es halten können?
14 Nein, das Wort ist ganz nah bei dir, es ist in deinem Mund und
in deinem Herzen, du kannst es halten.

 

Evangelium: Lk 10, 25–37

In jener Zeit
25 stand ein Gesetzeslehrer auf, um Jesus auf die Probe zu stellen,
und fragte ihn: Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben
zu erben?
26 Jesus sagte zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was
liest du?
27 Er antwortete: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit
deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele, mit deiner
ganzen Kraft und deinem ganzen Denken, und deinen
Nächsten wie dich selbst.
28 Jesus sagte zu ihm: Du hast richtig geantwortet. Handle
danach und du wirst leben!
29 Der Gesetzeslehrer wollte sich rechtfertigen und sagte zu
Jesus: Und wer ist mein Nächster?
30 Darauf antwortete ihm Jesus: Ein Mann ging von Jerusalem
nach Jéricho hinab und wurde von Räubern überfallen. Sie
plünderten ihn aus und schlugen ihn nieder; dann gingen sie
weg und ließen ihn halbtot liegen.
31 Zufällig kam ein Priester denselben Weg herab; er sah ihn und
ging vorüber.
32 Ebenso kam auch ein Levit zu der Stelle; er sah ihn und ging
vorüber.
33 Ein Samaríter aber, der auf der Reise war, kam zu ihm; er sah
ihn und hatte Mitleid,
34 ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und
verband sie. Dann hob er ihn auf sein eigenes Reittier, brachte
ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn.
35 Und am nächsten Tag holte er zwei Denáre hervor, gab sie dem
Wirt und sagte: Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn
brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme.
36 Wer von diesen dreien meinst du, ist dem der Nächste
geworden, der von den Räubern überfallen wurde?
37 Der Gesetzeslehrer antwortete: Der barmherzig an ihm
gehandelt hat. Da sagte Jesus zu ihm: Dann geh und handle du
genauso!

 

Geistlicher Impuls

Wer kennt es nicht, das Gleichnis vom barmherzigen Samariter? Schon als Kind habe ich diese Geschichte gehört und wusste natürlich gleich, wie ich mich zu verhalten hatte: ich würde selbstverständlich, unabhängig von meinen eigenen Bedürfnissen, jedem Menschen helfen, der mir hilflos und schwach begegnen würde. Ich würde natürlich niemals meine Augen schließen und an bedürftigen Menschen tatenlos vorübergehen. Die Message erscheint ziemlich deutlich und einfach umsetzbar!

Wenn man sich jedoch etwas näher mit der Botschaft dieses Gleichnisses auseinandersetzt, so birgt es doch einige Punkte, die auf den zweiten Blick sehr zum Nachdenken anregen.

Schauen wir auf das Gebot: „Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst!“ Die Frage, die sich mir persönlich hier stellt, ist gar nicht: „Wer ist mein Nächster?“, sondern „Liebe ich mich selbst?“. Mit meinen ganzen Verfehlungen, Zweifeln, mit meinem Unvermögen und meinen Unkontrolliertheiten? Mich selbst zu lieben, erschien mir immer schon utopisch.

Aber die Bibel schenkt uns hier, Gott sei Dank, eine Hilfestellung. Die goldene Regel klingt ähnlich, ist, zumindest für mich, aber einfacher zu verstehen und umzusetzen: „Alles, was ihr wollt, was euch die Menschen tun, das tut auch ihnen!“ (Mt 7,12). Damit kann ich arbeiten. Ich stelle mir also die Frage: „Was möchte ich, dass die Menschen mir tun?“ Ich möchte, dass die anderen mich sehen, mir zuhören, dass sie mich achten und respektieren, dass sie mir helfen in der Not, mir vergeben und mich lieben. Wenn ich also meinen Nächsten sehe, ihm zuhöre, ihn achte und respektiere, ihm helfe in der Not, wenn ich ihm vergebe und ihn so liebe, wie er ist, ohne auf seine Herkunft, seinen Glauben und seine Einstellungen zu achten, dann kann ich mich bemühen, dieses wichtigste Gebot zu halten.

Die Bibel hält aber noch wesentlich mehr Schlüssel parat. Das Zitat aus dem ‚Höre Israel‘ zu Anfang des Gleichnisses ist ein solcher: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele, mit deiner ganzen Kraft und deinem ganzen Denken“ (Dtn 6,5).

Was bedeutet es, Gott zu lieben? Auf den ersten Blick erscheint mir dies auch ganz schön schwer. Ein Erklärungsversuch: Gott ist nicht jemand, der weit weg sitzt und zu dem ich meine Liebe hinschicke, die dann im All verpufft. Gott ist Beziehung. Die Liebe zu Gott prägt meine Liebe zu den Menschen und zu mir. Wenn ich Gott an die erste Stelle in meinem Leben setze, wenn ich auf ihn höre und mich nach ihm ausrichte, dann kann ich nicht anders als lieben, auch mich selbst. Denn Gott liebt mich bedingungslos.

Wem das wiederum zu schwer erscheint, dem helfe der Abschnitt aus der ersten Lesung: „Denn dieses Gebot, auf das ich dich heute verpflichte, geht nicht über deine Kraft und ist nicht fern von dir. […] Nein, das Wort ist ganz nah bei dir, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, du kannst es halten.“

Wir können lieben. Auch uns selbst. Dazu hat Gott uns erschaffen. Jesus hat uns gezeigt, wie es geht. Es ist nicht schwer, Gottes Liebe anzunehmen und weiterzugeben. Ich versuche es jeden Tag, immer wieder neu.

Vor Jahren ist mir ein beeindruckendes Gebet von Bernhard von Clairvaux in die Hände gefallen:

Du musst nicht über Meere reisen, musst keine Wolken durchstoßen und musst nicht die Alpen überqueren. Der Weg, der dir gezeigt wird, ist nicht weit. Du musst deinem Gott nur bis zu dir selbst entgegengehen.“

Gemeindeassistentin Judith Zehrer

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