Dazugehören

von Monika Tenambergen

Foto: Amer Mughawish Unsplash

Evangelium Mk 1,40-45

In jener Zeit kam ein Aussätziger zu Jesus und bat ihn um Hilfe; er fiel vor ihm auf die Knie und sagte: Wenn du willst, kannst du mich rein machen.

Jesus hatte Mitleid mit ihm; er streckte die Hand aus, berührte ihn und sagte: Ich will – werde rein!Sogleich verschwand der Aussatz und der Mann war rein.

Jesus schickte ihn weg, wies ihn streng an und sagte zu ihm: Sieh, dass du niemandem etwas sagst, sondern geh, zeig dich dem Priester und bring für deine Reinigung dar, was Mose festgesetzt hat – ihnen zum Zeugnis.

Der Mann aber ging weg und verkündete bei jeder Gelegenheit, was geschehen war; er verbreitete die Geschichte, sodass sich Jesus in keiner Stadt mehr zeigen konnte; er hielt sich nur noch an einsamen Orten auf.
Dennoch kamen die Leute von überallher zu ihm.

Predigt

Erinnern Sie sich noch, als es im März 2020 plötzlich hieß: Abstand halten – nicht berühren, schon gar keine Umarmung – Isolation – nur die allernotwendigsten Kontakte zu anderen Menschen, mit Maske und Schutzkleidung  –Einkäufe vor der Tür abstellen – staatliche Kontrolle, ob bei festgestellter Infektion die Isolation auch eingehalten wurde…

Regeln, um die Pandemie in den Griff zu bekommen und ihr entgegen zu wirken mit der Aussicht, dass der Tag kommen wird, an dem das alles überstanden ist. Gott sei Dank!

Der Mann im heutigen Evangelium hatte diese Aussicht nicht. Wir wissen nicht, wie lange er schon in der Isolation lebte. In seiner Gesellschaft galt er als lebendig Toter. Aussatz gleich Ausschluss – gleich Exkommunikation aus dem Volk Gottes. Mit dem will man nichts zu tun haben. In der ersten Lesung haben wir gehört, wie er sich zu verhalten hatte: Er sollte eingerissene Kleider tragen, das Haar ungekämmt lassen, den Bart verhüllen und, wenn sich Menschen näherten, rufen „Unrein! – Unrein!“ Ein Warnruf, denn wer mit einem Unreinen in Berührung kam, wurde selbst unrein und ausgeschlossen aus der Gemeinschaft und noch schlimmer: jedem Unreinen wurde der Zugang zum Gottesdienst und zu Gott verwehrt, denn dem Heiligen durfte man nur im Zustand der Reinheit begegnen. So waren die Regeln – streng und erbarmungslos!

Umso erstaunlicher, dass der Mann es wagt, auf Jesus zuzugehen.
Andererseits: Er ist seine letzte Hoffnung. Niemals hätte er sich an einen seiner orthodoxen Rabbis wenden können.

In seiner Not setzt er alles auf eine Karte. Er hat ja nichts zu verlieren. Und er hat nur diese eine Chance. Darum widersetzt er sich dem Gesetz, bricht die Abstandsregeln und nähert sich Jesus, weil er weiß, dass er nur von ihm Rettung erhoffen kann.

„Wenn du willst, kannst du machen, dass ich rein werde.“ In dieser Bitte steckt viel mehr als die Bitte um Heilung seiner Krankheit. Hier geht es um die Sehnsucht nach Gemeinschaft, nach Communio, nach sozialer und religiöser Zugehörigkeit zu seinem Volk, zum Volk Israel, zum Volk Gottes, letztlich zu Gott selbst.

Jesus reagiert mit Mitleid. Und das ist nicht nur ein mitleidiges Bedauern, sondern aus dem griechischen Original besser übersetzt müsste es heißen: „Es schlug ihm auf den Magen – es fuhr ihm in die Eingeweide“. Vom Schicksal dieses Menschen lässt Jesus sich im Innersten berühren.

Er lässt sich nicht nur berühren, sondern er wirft alle etablierten Sicherheitskonzepte über Bord, streckt seine Hand aus und berührt seinerseits den Kranken. Ebenso wie der Aussätzige widersetzt er sich damit dem Gesetz. Ein Reiner berührt einen Unreinen! Das darf nicht sein!

Und doch oder gerade deshalb steckt in dieser Berührung so viel Kraft. Sie heilt die Krankheit des Mannes, sie heilt seine Isolation, seine Einsamkeit, seine Verzweiflung, seinen Glauben, dass er von Gott verflucht sei. Ein lebendig Toter kehrt zurück ins Leben.

Aussatz, zum Glück ist die Krankheit heute besiegt und solch strenge Isolationsregeln sind nicht mehr nötig. Aber die Erfahrung von Ausgrenzung, die Erfahrung, nicht dazuzugehören, die Erfahrung abgelehnt zu werden machen Menschen in unserer Gesellschaft, im privaten Umfeld, am Arbeitsplatz, in unseren Gemeinden auch heute.

Ich frage mich:

Wie fühlt sich ein Mensch, wenn die Kollegen in der Pause schnell das Thema wechseln, sobald er hinzukommt oder wenn an seiner Arbeit ständig herumgemäkelt wird?

Wie fühlt sich ein Mensch, der einen sicheren Ort zum Leben suchte und nun auf der Straße angepöbelt wird?

Wie fühlt sich ein Mensch mit einer psychischen Erkrankung, der sich nicht traut professionelle Hilfe zu suchen, weil er fürchtet, sein Ansehen zu verlieren.

Wie fühlt sich ein Mensch, der sich mit seinen Ideen und Talenten einbringen möchte, damit aber nicht ankommt?

Die Liste der Beispiele lässt sich endlos fortsetzen. Vielleicht haben Sie selbst eine solche Erfahrung schon einmal machen müssen.

Ausgegrenzt sein tut weh. Wir brauchen das Gefühl der Zugehörigkeit. Es ist ein existenzielles Bedürfnis des Menschen. Darüber schreibt und redet Henri Nouwen, katholischer Priester, Psychologe und geistlicher Autor (+1996) immer und immer wieder und er selbst war, obwohl angesehener Professor an den Elite-Universitäten Harvard und Yale, sein Leben lang auf der Suche danach.

Schließlich fand er es in der L’Arche Daybreak, im Leben zusammen mit Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen, die seine wichtigsten Lehrer wurden. Dort machte er die Erfahrung, dass niemand sich Gottes Liebe verdienen muss, sondern von Ewigkeit her und bedingungslos geliebt ist.

Niemand kann und muss sich Gottes Liebe verdienen, weder durch gute Taten, noch durch die Erfüllung von Reinheitsgeboten, Gesetzen und Gebeten. Die Gute Nachricht des Evangeliums besteht darin, dass Gott sich durch Jesus Christus offenbart. Er ist eben kein strenger moralischer Richter, wie die Pharisäer glauben, sondern er reicht den Gescheiterten und Ausgestoßenen die Hand. Er berührt sie mit seiner Barmherzigkeit und heilt in ganzheitlichem Sinn Körper, Geist und Seele.

In einem Vortrag mit dem Titel „The vulnerable Journey“ spricht Henry Nouwen über Gottes Vision für unser Leben. Dazu holt er zwei Menschen mit Behinderungen auf die Bühne und ihre Gesichter beginnen zu leuchten, als er zu ihnen spricht (verkürzte Wiedergabe):

„Ich möchte, dass du etwas über eine sehr große Bewegung erfährst, eine Bewegung die begann, lange bevor du geboren wurdest. Lange bevor irgendjemand dich kannte, warst du im Herzen Gottes, und Gott hat ein großes Herz. Gott spricht zu dir: Mehr als irgendjemand anderes dich jemals lieben wird, liebe ich dich. Du bist mein geliebter Sohn, meine geliebte Tochter. Ich sende dich für eine begrenzte Zeit in diese kleine Welt. Es wird harte Zeiten geben, es wird glückliche Zeiten geben, es wird Menschen geben, die dich mögen, es wird Menschen geben, die über dich lachen. Aber dieses kurze Leben ist deine Gelegenheit „Ja“ zu sagen, es ist deine Gelegenheit in deiner Gebrochenheit, in deiner Krankheit, aber auch in deinem Glück und deinem Wohlergehen „Ja“ zu sagen zu Gottes ewiger und bedingungsloser Liebe.“

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