Geistlicher Impuls Erntedank

von Gemeindereferentin Marita Kremper

Wer schon mal in Dänemark war, kann sicher von langen Sandstränden und sonnigen Spaziergängen berichten. So geht es meinem Mann und mir. In den letzten drei Wochen waren wir im Urlaub: drei Wochen dänische Ostseeküste zwischen Hals und Hou. Wir hatten 5 min. Fußweg zu einem kilometerlangen Sandstrand. Das Wetter war uns wohl gesonnen, so dass wir jeden Tag einige Stunden am Meer wandern konnten. Und auf der kleinen Terrasse unseres Ferienhauses war die Sonne bis zum Mittag zu genießen. Dort habe ich täglich sitzen und lesen können. Diese beiden fast täglich wiederkehrenden Eckpunkte unseres Urlaubs waren wichtig für mich und uns. Anfangs war es das Ankommen und Loslassen des vielfältigen Alltags. Nach einigen Tagen entdeckte ich mehr und mehr eine große Ruhe und Frieden in mir. Allerdings wuchs auch das Interesse an Erkundungen und Besichtigungen, wovon es zwischen Aalborg und Skagen einiges zu sehen gibt.

Vor dem Urlaub hatte ich mir ein theologisches Buch besorgt, auf das zu lesen ich mich sehr gefreut habe. In der Empfehlung einer christlichen Wochenzeitschrift war es im August 2022 kurz beschrieben worden: „Jesus begegnen“ von Andreas R. Batlogg, SJ (Kösel Verlag 2021). An diesem Buch haben mich der Autor und seine biografischen Einblicke fasziniert und bewegt. Sie haben mich dazu angeregt nach meinen eigenen Erfahrungen mit Jesus zu fragen und zu suchen.

Foto: Bucheinband Herder

Der Theologe und Jesuit betrachtet die Person Jesu zum einen aus verschiedenen Blickwinkeln heutiger Denk- und Lebenswelt und zum anderen aus unterschiedlichen theologischen Fachgebieten, auch aus der Sicht seines Ordens und den Leitgedanken des Ignatius von Loyola. Und immer wieder schildert er seine eigene Suche, seine Fragen und Erfahrungen in den je wechselnden Lebensphasen vom Kind-Sein bis heute.

„‚Wer bin ich für dich?‘ Diese Frage an Simon, den Jesus später Petrus, Fels, nennt, ist eine Frage, die uns alle angeht.“ So lesen wir im Umschlagstext des Buches. Die Frage taucht im Buch immer wieder auf.

An verschiedenen Stellen zitiert der Jesuit unter anderen auch Papst Franziskus, der als erster Jesuit auf dem Stuhl des Petrus sitzt. Batlogg führt ein Wort des Papstes aus einem Angelusgebet am 17. Januar 2020 während der ersten Coronazeit an. Auf die Frage, die Jesus den beiden Jüngern im Johannesevangelium nach der Taufe stellt: „Wen sucht ihr?‘ (Joh 1,35-42) antworten die beiden Jünger mit einer Gegenfrage: „Rabbi, wo wohnst du?“ „Jesus antwortet nicht: Ich wohne in Kafarnaum oder in Nazareth, sondern er sagt: ‚Kommt und seht.‘ (Joh 1,39) Keine Visitenkarte, sondern eine Einladung zu einer Begegnung.“ (A.R.Batlogg, Jesus begegnen, S.52)

Und dann folgt der Gedankengang des Papstes und die Empfehlung, die nicht nur den Jesuiten Batlogg angerührt hat „Dieser Vorschlag hat es in sich!“ (A.R.Batlogg, Jesus begegnen, S.53), sondern auch mich.

Papst Franziskus stellt sich vor, dass die beiden Jünger mit Jesus mitgehen und an dem Tag bei ihm bleiben. „Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, wie sie da sitzen und ihm Fragen stellen und ihm vor allem zuhören und spüren, wie ihre Herz‚en von Wärme erfüllt werden, als der Meister spricht. (…) Und das ist etwas, das uns zu denken gibt: Jede authentische Begegnung mit Jesus bleibt im Gedächtnis lebendig, sie bleibt unvergesslich. Man vergisst viele Begegnungen, aber die wahre Begegnung mit Jesus bleibt immer. Und seine Folgerung daraus: Am Anfang steht eine Begegnung, oder besser gesagt die Begegnung mit Jesus (…). Und dann wächst auch in uns spontan der Wunsch, es den Menschen mitzuteilen, die wir lieben: ‚Ich bin der Liebe begegnet‘, ‚Ich bin dem Messias begegnet‘, ‚Ich bin Gott begegnet‘, ‚Jesus begegnet‘, ‚Ich habe den Sinn meines Lebens gefunden‘. Mit einem Wort: ‚Ich habe Gott gefunden‘. Auf den Punkt gebracht: ‚Gehen wir zurück zu diesem Augenblick, damit die Erinnerung an jenen Augenblick uns stets in der Begegnung mit Jesus erneuere.’“ (A.R.Batlogg, Jesus begegnen, S.52/53)

Warum erzähle ich Ihnen diesen Bericht über ein Wort des Papstes und warum hat mich dieses Wort selbst so angerührt? Ja, ich konnte mich erinnern an meine erste Begegnung mit Jesus, mit Gott. Sie liegt viele Jahre zurück, als ich auf der Suche nach ‚meinem‘ Weg war. In einem Gottesdienst habe ich schon mal davon erzählt. Es war in meinen ersten Exerzitien. Ich war 26 und hatte keine Ahnung wohin dieser Weg mich führt. Meine Fragen an mich selbst und Gott waren: Wer bin ich? Wohin geht mein Weg? Und was will Gott von mir? Im Stil der ignatianischen Exerzitien habe ich Texte meditiert und hatte einmal am Tag ein Gespräch mit der Begleiterin, einer jungen Ordensschwester. Auf ihre Vorschläge konnte ich mich gut einlassen. Jeden Tag gab es einen anderen Text mit dem ich innerlich mehrere Stunden meditieren konnte. Von Tag zu Tag wuchs in mir aber die Sorge, dass ich, wenn ich den ‚falschen‘ Weg einschlage, Gottes Strafe erfahren würde…und ‚Was ist denn der Weg Gottes überhaupt?“ So kam ich in der Mitte dieser Woche an einen Punkt, wo ich das Gefühl hatte, ich muss mich entscheiden. Und ich muss vertrauen, dass Gott da ist und ER es gut mit mir meint.

Ich glaube, heute kann sich niemand mehr vorstellen, wie streng das Gottesbild in der katholischen Kirche bis in die sechziger, siebziger und achtziger Jahre war, mit dem ich aufgewachsen bin. In diesen Exerzitien erfuhr ich zum ersten Mal, dass Gott anders ist, als ich in meinem Kinderglauben gelernt hatte. Und ich erfuhr es existenziell. Es betraf mich ganz und gar, mein Denken und Fühlen, meine Vergangenheit und meine Zukunft, meine Familie und meine Beziehungen zu Freunden, in der Arbeit und vieles mehr. Und alles sollte ich IHM in die Hände legen und vertrauen, dass ER da ist und mich begleitet.

Am Abend des 15. August feierten wir die Eucharistie in der Gruppe, wie jeden Abend. Und es wurde aus Anlass des Marienfestes (Mariä Aufnahme in den Himmel) das Magnificat gesungen. Beim Singen dieses Gesangs (Lk 1,46-55) hatte ich den Eindruck als ginge mir nicht nur ein Licht auf, sondern ein ganzer Kronleuchter. Alle Sorge und Befürchtungen fielen von mir ab, ich konnte mit Maria dieses Lied singen, das ich seit Kindertagen in der Vesper immer mitgesungen hatte und plötzlich spürte ich: Ich bin mit gemeint.

„Meine Seele preist die Größe des Herrn und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter. Denn der Mächtige hat Großes an mir getan und sein Name ist heilig. Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten. Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten: Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen. Er nimmt sich seines Knechtes Israel an und denkt an sein Erbarmen, das er unsern Vätern verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.“ (LK 1,46-55)

Das ist meine erste wirkliche Begegnung mit Gott, mit Jesus gewesen. Und Andreas Batlogg hat mich durch die Schilderungen in seinem Buch, vor allem diese von Papst Franziskus, an meine Erfahrungen erinnert, was mich dazu bewegt hat, Ihnen hier und heute davon zu erzählen. Der Empfehlung von Papst Franziskus, diese Begegnung immer wieder zu erinnern, bin ich in diesen letzten Wochen gern gefolgt und die Bedingungen in unseren Urlaubstagen waren dafür sehr geeignet: Ruhe und Zeit, ein wunderbares Meer und Sonne, Sonne, Sonne…

Heute, über 30 Jahre nach dieser Begegnung, die mein Leben von Grund auf verändert hat, möchte ich Menschen immer noch zurufen: „Ich bin Gott begegnet“, und die Freude darüber kann ich auch heute noch nicht in Worte fassen. Meine Gesichtsfarbe verblasst langsam wieder, aber das Licht dieser Begegnung strahlt weiter.

Und vielleicht passt das ja in gewisser Weise auch zu Erntedank…

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