Interview-Serie „Nachgefragt“, Teil 3:
Carolin Proske im Gespräch mit Br. Johannes Tebbe OSB, Prior im Kloster Nütschau
In der dritten Folge unserer Gesprächsreihe „Nachgefragt“ spricht Carolin Proske mit Br. Johannes Tebbe OSB über die Gestaltung der diesjährigen Fastenzeit, aktuelle Herausforderungen für die klösterliche Gemeinschaft und Seelsorge in Corona-Zeiten.
Wir befinden uns gerade in der Fastenzeit. Viele Menschen verzichten auf lieb gewordene Angewohnheiten wie Schokoladen- oder Kaffeegenuss, andere versuchen ein Mehr an Sport oder gesundem Essen. Was bewegt Sie in dieser Zeit?
In dieser Zeit der sozialen Einschränkungen fällt mir besonders auf, wie gut es ist, in Gemeinschaft leben zu dürfen. Ich empfinde Dankbarkeit für die Gemeinschaft mit meinen Brüdern. Auch die Gemeinschaft mit den Menschen, die mit dem Kloster verbunden sind, wird noch wichtiger. Ich spüre, wie wir voneinander abhängig sind und voneinander leben. Diese Verbundenheit zeigen uns Menschen durch Rückmeldungen zu unseren Online-Angeboten oder in den spärlich gesäten Begegnungen, die umso wichtiger und besonderer geworden sind. Auch die gegenwärtigen biblischen Texte der Liturgie höre ich mit diesem Ohr. Darin geht es oft um die Rückkehr zur Gemeinschaft: zur Gemeinschaft mit Gott, mit dem Volk Gottes, mit der Menschheitsgemeinschaft. Das ist ein wichtiger Impuls für mich in dieser Vorbereitungszeit auf Ostern: Dankbar zu sein für die Gemeinschaft und die Herausforderung anzunehmen, immer wieder den Schritt zu machen aus meiner egozentrischen Welt auf den anderen zu. Hinzu kommt, dass ich in diesem Jahr die Fastenzeit besonders als Aufruf zur Freude verstehe. Unser Ordensgründer Benedikt schreibt in seiner Regel: Wenn der Mönch auf etwas verzichtet oder etwas Besonderes in der Fastenzeit tut, soll er es „in der Freude des Heiligen Geistes“ tun. Ich höre heraus, dass ich vermehrt das tun sollte, was mir und anderen Freude macht: Spazierengehen, Lesen, Bewegung, Gespräche, Zuhören, Dasein, Genießen.
Sie tragen als Prior Verantwortung für die Gemeinschaft der Brüder im Kloster Nütschau. Was hat sich an Ihrem Zusammenleben in Gemeinschaft in Zeiten von Corona geändert?
Ich bin erstaunt, dass uns in dieser Zeit nicht die Decke auf den Kopf gefallen ist. Das ständige Zusammensein mit dem kompletten Konvent ohne Abwechslung und Herausforderungen durch Gäste ist ja schon eine Herausforderung. Ich bin dankbar, dass wir uns gegenseitig nicht mehr auf die Nerven gegangen sind als sonst. Man kann es auch positiv sagen: Corona hat mir gezeigt, wie stabil und gut unsere Klostergemeinschaft ist. Natürlich gab es auch Gefühlsschwankungen oder Tiefpunkte bei jedem, aber das ist auch in pandemiefreien Zeiten so.
Gab es etwas, was Ihnen Halt gegeben hat? Und haben Sie Neues entdecken können?
Mir ist in dieser Zeit aufgefallen, wie wertvoll die klösterliche Tagesstruktur ist, die selbst in dieser verrückten Zeit unangetastet geblieben ist. Die festgelegten Gebetszeiten geben ein wunderbares Raster für alles, was am Tag geschieht. Gerade wenn sich die Arbeit ohne Gäste und Gruppen anders gestaltet als sonst, ist diese Struktur eine gute Richtschnur, die Orientierung gibt und uns immer wieder zusammenführt. Bereichernd war zu Beginn des ersten Lockdowns die Erfahrung eines sehr stillen Klosters, was ja sonst nicht unbedingt typisch für Nütschau ist, weil hier durch die vielen Gäste oft eher Begegnung und Gemeinschaft im Vordergrund stehen. Jetzt – nach über einem Jahr – hat die Stille aber auch etwas Bedrückendes: Mir fehlen die Gäste und damit auch der Austausch und die Inspiration durch unterschiedliche Sichtweisen und Erfahrungen sehr.
Der Seminarbetrieb im Kloster Nütschau ist zu Zeit stark eingeschränkt. Haben Sie die gewonnene Zeit nutzen können?
Unbedingt. Unter Begleitung einer befreundeten Sozialwissenschaftlerin haben wir einen wertvollen Organisationsentwicklungsprozess durchlaufen. Dabei haben wir unsere Stärken, Schwächen, Risiken und Chancen in den Blick genommen. Wir arbeiten derzeit intensiv an den Handlungsfeldern Nachhaltigkeit, Fundraising, Programmausrichtung, Preisgestaltung und Gemeinschaft. So wollen wir uns für die Zukunft gut aufstellen und unsere Bildungsarbeit im Haus St. Ansgar und im Jugendhaus St. Benedikt verantwortbar gestalten. Ich bin Frau Prof. Dr. Petra Ahrweiler aus Hamburg dankbar für die ehrenamtliche und hilfreiche Begleitung.
Das Kloster Nütschau ist ein Ort, der unter normalen Umständen viele Menschen anzieht. Die Menschen sind auf der Suche nach Orientierung, Halt und Neuausrichtung. Wie kann Seelsorge in diesen Zeiten aussehen?
Die direkte Begegnung mit den Menschen fehlt mir sehr! Einzelne Besucher kommen auch in dieser Zeit zur geistlichen Begleitung, zur Beichte oder zu einer Besprechung ins Kloster. Manches findet über die Medien statt, in Videokonferenzen oder Telefonaten. Auch der Austausch über die sozialen Medien ist nicht zu unterschätzen, wenn eine direkte Begegnung nicht möglich ist. Das Teilen von inspirierenden Texten oder Fotos aus dem Alltag, von ein paar persönlich geschriebenen Sätzen oder längeren Sprachnachrichten sind wichtige Kontaktmöglichkeiten. Auch das ist Seelsorge.
Ich erlebe Sie als einen ruhigen und bedächtigen Menschen, der voller Energie, Neugierde und Lebensfreude ist. Woraus schöpfen Sie Ihre Kraft?
Oh, darüber freue ich mich! Das eigene Erleben ist natürlich etwas anders als die Fremdwahrnehmung. Aber insgesamt bin ich sehr froh über meine Gesundheit und auch dankbar für mein Leben. Ich lebe einfach sehr gerne! Kraftquellen sind für mich Zeiten der Stille und der Meditation allein oder – besser noch – mit einigen Mitbrüdern zusammen morgens nach dem Morgengebet in unserem Meditationsraum. Auch das Lesen ist für mich Inspirationsquelle und gleichzeitig Regenerationszeit. In der Fastenzeit soll der Mönch nach Anweisung aus der Regel des heiligen Benedikt besonders das Augenmerk auf die biblische und spirituelle Lesung richten. Die halbe Stunde vor unserer Vigil, dem Morgengebet, ist für mich tägliche Lesezeit. Oft komme ich auch abends dazu. Ganz wichtig ist schließlich die Begegnung mit anderen Menschen – sie macht mich neugierig und bringt immer neue Perspektiven mit sich. Das habe ich vor allem in der Jugendarbeit erfahren, weil mich junge Leute immer anstecken mit ihrer Spontaneität, ihrem Forschergeist und der Lust am Spiel und an der Bewegung.
Der Frühling kündigt sich an, die Natur erwacht. Was bringt Sie zum Staunen?
Vor einem Jahr beim ersten Lockdown habe ich viel draußen gearbeitet. Wir haben altes Zaundrahtgeflecht aus dem Wald geholt und daraus einen besseren Bissschutz für unsere jungen Apfelbäume gebaut. Dabei komme ich in Kontakt mit der Schöpfung und staune ich über die Würze und Frische der Luft, über die Kraft der Frühlingssonne, über die verschwenderische Fülle der Blüten an den Bäumen – und über den hartnäckigen Ehrgeiz der Schafe, auch den neuen Bissschutz zu überwinden, um die Rinde der Obstbäume zu erreichen. Hier ist das Staunen dann allerdings mit etwas Ärger gepaart …