von Gemeindereferentin Monika Tenambergen
Erste Lesung: Jesaja 5, 1-7
1 Ich will singen von meinem Freund, das Lied meines Liebsten von seinem Weinberg. Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fruchtbaren Höhe.
2 Er grub ihn um und entfernte die Steine und bepflanzte ihn mit edlen Reben. Er baute in seiner Mitte einen Turm und hieb zudem eine Kelter in ihm aus. Dann hoffte er, dass der Weinberg Trauben brächte, doch er brachte nur faule Beeren.
3 Und nun, Bewohner Jerusalems und Männer von Juda, richtet zwischen mir und meinem Weinberg!
4 Was hätte es für meinen Weinberg noch zu tun gegeben, das ich ihm nicht getan hätte? Warum hoffte ich, dass er Trauben brächte? Und er brachte nur faule Beeren!
5 Jetzt aber will ich euch kundtun, was ich mit meinem Weinberg mache: seine Hecke entfernen, sodass er abgeweidet wird; einreißen seine Mauer, sodass er zertrampelt wird.
6 Zu Ödland will ich ihn machen. Nicht werde er beschnitten, nicht behackt, sodass Dornen und Disteln hochkommen. Und den Wolken gebiete ich, keinen Regen auf ihn fallen zu lassen.
7Denn der Weinberg des Herrn der Heerscharen ist das Haus Israel und die Männer von Juda sind die Pflanzung seiner Lust. Er hoffte auf Rechtsspruch – doch siehe da: Rechtsbruch, auf Rechtsverleih – doch siehe da: Hilfegeschrei.
Impuls: Vom Liebeskummer Gottes
Als wir uns am Montagabend in unserem Bibelkreis mit dieser Lesung aus dem Buch Jesaja beschäftigten, waren wir alle betroffen und irgendwie auch irritiert von dem Gottesbild, das uns hier vor Augen gestellt wird. Die Lesung fängt so schön an – und dann scheint sie in einer Katastrophe zu enden. Wo finden wir da die frohe Botschaft, das Ermutigende, das Aufbauende?
Der Text lädt uns ein zu einer Zeitreise ins 8. Jahrhundert vor Christi Geburt. Wirtschaftlich und politisch erlebt Israel seine Blütezeit. Doch den Profit daraus schöpfen die oberen Zehntausend. Keine Rücksicht auf die unteren Gesellschaftsschichten, keine Fürsorge für die Verarmten.
Da tritt ein Mann auf, dessen Namen man übersetzen kann mit „Hilfe ist Jahwe“: Jesaja. Er wettert gegen den Hochmut der männlichen Führungselite in Jerusalem. Er macht sich lustig über deren konsumverwöhnten Frauen. Er kritisiert Korruption und Wucher. Er beklagt Unterdrückung, Ausbeutung und Bereicherung auf Kosten der Armen und Entrechteten.[1] Und er droht mit dem Fall und der Beseitigung der führenden Schichten. Im 4. Kapitel heißt es: „Nur ein kleiner Rest von Zion und wer in Jerusalem noch übrig ist, wird heilig genannt werden und in das Verzeichnis derer, die am Leben bleiben sollen, eingetragen werden.“[2] Das ist harter Tobak.
Jesaja gehörte selbst zur gebildeten Oberschicht in Jerusalem. Er hatte sogar Zugang zum Hof des Königs. Von seiner Berufung zum Propheten wird erst im 6. Kapitel des Buchs Jesaja berichtet, noch nicht jetzt in Kapitel 4. Das finde ich sehr bemerkenswert! Könnte es vielleicht bedeuten, dass Jesaja schon vor seiner Berufung gespürt hat, dass es so nicht weitergehen kann, dass der Karren vor die Wand fährt, wenn sich nichts ändert? Könnte es sein, dass sein Gewissen schon die Stimme Gottes vernommen hat und spürt, dass er und sein ganzes privilegiertes Umfeld sich ändern müssen, wenn es eine Zukunft haben will? Könnte in dieser Regung seines Gewissens vielleicht die gute Nachricht verborgen liegen?
Ich stelle mir vor, wie Jesaja sich auseinandersetzt mit sich selbst, mit seinem Lebensstil. Ich stelle mir vor, wie seine Gedanken durcheinander schwirren, wie es in seinem Herzen brodelt, wie er darüber nachdenkt und zu dem Schluss kommt, dass er den Mund aufmachen muss. Nur ist die Frage: Wie sag ich’s meinen Leuten? Die ganzen Anklagen haben nichts genützt.
Also versucht er es noch einmal anders. In meiner Vorstellung findet ein Fest statt, in einem der Paläste der High Society in Jerusalem. Es wird getrunken und gegessen. Erlesenste Weine und beste Speisen werden serviert. Der Abend ist schon fortgeschritten, die Stimmung ausgelassen.
Da nimmt Jesaja seine Harfe und beginnt zu singen, vom Weinberg seines geliebten Freundes. Der hat ihn mit aller Mühe und Zuwendung angelegt und gepflegt. Er hat viel Geld investiert, nur die edelsten Reben gepflanzt, ihn eingehegt und einen Wachturm gebaut. Sogar die Keltergrube für die Trauben und das Becken für den Wein sind schon aus dem Felsen gehauen. Der Besitzer freut sich auf eine reiche Ernte und den süßen Wein.
Die Anwesenden hören aufmerksam zu. Jesaja singt ein Liebeslied. Im alten Israel ist der Weinberg ein Symbol für Wohlstand und für die Liebe, der Ort für ein heimliches Rendezvous, für Erotik, für Lust und Begehren, für Freude und Zärtlichkeit. So ein Liebeslied hört man gern. Da geht einem das Herz auf. Vielleicht entstehen beim Zuhören romantische Gefühle im Bauch und Bilder im Kopf …
Doch dann ändern sich Melodie und Ton. Plötzlich ist es vorbei mit der Romantik. Es klingt nach Beziehungskrise. Die ganze Mühe hat sich nicht gelohnt. Die edlen Reben bringen keinen süßen Wein. Sie sind sauer und ungenießbar und zu nichts zu gebrauchen. Alles umsonst!
Jesaja unterbricht sein Lied und fragt seine Zuhörer, was sie an der Stelle seines Freundes tun würden? „Gib auf!“ „Lass sie laufen!“ „Sie ist es nicht wert!“ „Es gibt noch andere schöne Frauen!“ „Liebeskummer lohnt sich nicht!“
Jesaja singt weiter. In den folgenden Strophen lässt er seinen Freund selbst zu Wort kommen. Der lässt seinen Gefühlen freien Lauf. Er fühlt sich betrogen. Seine Enttäuschung ist bodenlos. Sie ruft Zorn und Traurigkeit hervor. Eine verletzte Seele.
Der Freund überlässt den wunderschönen Weinberg sich selbst. Er zerstört ihn nicht, aber er kümmert sich auch nicht mehr. Schützende Mauern und Hecken reißt er ein. Der einst mit so viel Liebe angelegte wunderschöne Weinberg verkommt. „Recht so!“ „Sie hat es nicht besser verdient!“, rufen lauthals die Zuhörer.
Erst dann hält Jesaja ihnen den Spiegel vor: „Es ist der Weinberg des Herrn der Heere, der Weinberg Jahwes. Ihr vom Haus Israel, ihr Männer von Juda, ihr seid gemeint! Ihr seid der Weinberg! Ihr habt euer eigenes Urteil gesprochen!“
Jesaja hat das Lied vom Liebeskummer Gottes gesungen. Er hat seine Zuhörerinnen und Zuhörer in eine spannende Liebesgeschichte hineingezogen, an deren Ende er eine schweigende und betroffene Runde zurücklässt. Dann nimmt er seine Harfe und geht.[3]
Beim Nachspüren dieser Geschichte merke ich, dass sie auch mich nicht kalt lässt. Wo bin ich in dieser Geschichte? Bin ich im Publikum? Bin ich Prophet? Was passiert nun? Gibt es vielleicht doch noch ein Happy End in dieser Liebesgeschichte?
Ich glaube, auf das Happy End warten wir noch. Aber es gibt Hoffnung: Ein Kapitel später erfährt Jesaja seine Berufung zum Propheten. Im Tempel sieht er die Herrlichkeit und Größe des Herrn. Überwältigt von der Majestät Gottes ruft er: „Weh mir, ich bin verloren! Ich bin ein Mann mit unreinen Lippen und lebe mitten in einem Volk mit unreinen Lippen. (…) Da berührt einer der Serafim meinen Mund mit einer glühenden Kohle, die er vom Altar genommen hatte und sagt: Das hier hat deine Lippen berührt: Deine Schuld ist getilgt, deine Sünde gesühnt. Danach hörte ich die Stimme des Herrn, der sagte: Wen soll ich senden? Wer wird für uns gehen? Ich antwortete: Hier bin ich, sende mich!“[4]
[1] Erich Zenger – Stuttgarter Altes Testament
[2] Jes 4,3
[3] Franz-Josef Ortkemper – Neue Predigten zum Alten Testament
[4] Jes 6,5