Predigt zum 3. Advent 2022

von Diakon Tobias Riedel

Evangelium: Matthäus 11,2-11

In jener Zeit

2 hörte Johannes im Gefängnis von den Taten Christi. Da schickte er seine Jünger zu ihm

3 und ließ ihn fragen: Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen andern warten?

4 Jesus antwortete ihnen: Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht:

5 Blinde sehen wieder, und Lahme gehen; Aussätzige werden rein, und Taube hören; Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium verkündet.

6 Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt.

7 Als sie gegangen waren, begann Jesus zu der Menge über Johannes zu reden; er sagte: Was habt ihr denn sehen wollen, als ihr in die Wüste hinausgegangen seid? Ein Schilfrohr, das im Wind schwankt?

8 Oder was habt ihr sehen wollen, als ihr hinausgegangen seid? Einen Mann in feiner Kleidung? Leute, die fein gekleidet sind, findet man in den Palästen der Könige.

9 Oder wozu seid ihr hinausgegangen? Um einen Propheten zu sehen? Ja, ich sage euch: Ihr habt sogar mehr gesehen als einen Propheten.

10 Er ist der, von dem es in der Schrift heißt: Ich sende meinen Boten vor dir her; er soll den Weg für dich bahnen.

11 Amen, das sage ich euch: Unter allen Menschen hat es keinen größeren gegeben als Johannes den Täufer; doch der Kleinste im Himmelreich ist größer als er.

 

Predigt

Liebe Schwestern und liebe Brüder!

Erinnern Sie sich noch an die Predigt, die Pastor Krinke am vergangenen Sonntag in den Ansverus-News veröffentlicht hat? Sie begann wie folgt:

Am ersten Sonntag nach seiner Einführung hielt der neue Pastor eine zündende Predigt, von der alle begeistert waren. Am Sonntag darauf waren die Leute schon sehr gespannt; aber der Pastor hielt die gleiche Predigt wie am Sonntag vorher. Ebenso am dritten, vierten und fünften Sonntag. Schließlich platzte einem Zuhörer der Kragen: „Warum predigen Sie immer das Gleiche?“ Seine Antwort lautete: „Warum lebt Ihr genauso wie vor sechs Wochen? Wenn Ihr das in die Tat umsetzt, was ich bisher gesagt habe, dann sage ich Euch was Neues!“[1]

Diese kleine Anekdote hat mich beschäftigt in der vergangenen Woche. Wer predigt, möchte mit seiner Predigt etwas erreichen: Vielleicht möchte er seinen Zuhörerinnen und Zuhörern Wissen vermitteln – vielleicht möchte er sie zum Nachdenken anregen – vielleicht möchte er sie aufrichten, stärken oder trösten – vielleicht möchte er sogar, dass sie ihr Verhalten ändern. Was auch immer die Intention des Predigers ist: Er möchte, dass sich durch die Predigt etwas ändert bei seinen Zuhörern; er möchte, dass sich etwas ändert in der Welt.

Wie sollte man predigen, damit das gelingen kann? Im Evangelium heute begegnen uns zwei ganz unterschiedliche Prediger: Johannes und Jesus. Schauen wir zunächst auf Johannes – seine Predigt klingt ungefähr so:

In jener Zeit fragten die Leute Johannes den Täufer: Was sollen wir also tun? Er antwortete ihnen: Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso! Es kamen auch Zöllner, um sich taufen zu lassen, und fragten ihn: Meister, was sollen wir tun? Er sagte zu ihnen: Verlangt nicht mehr, als festgesetzt ist! Auch Soldaten fragten ihn: Was sollen denn wir tun? Und er sagte zu ihnen: Misshandelt niemanden, erpresst niemanden, begnügt euch mit eurem Sold![2]

Mit anderen Worten: Johannes appelliert an seine Zuhörer, sich moralisch anständig zu verhalten. Er verlangt nichts Übermenschliches, sondern schlicht und einfach die Befolgung des Gesetzes. Mit sich selbst ist er – der Asket – viel strenger als mit seinen Zuhörern: Er trägt ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Hüften; Heuschrecken und wilder Honig sind seine Nahrung.[3] Gelegentlich versucht er, seinen Worten mit Drohungen Nachdruck zu verleihen, insbesondere gegenüber den Pharisäern und Sadduzäern. Das klingt dann so:

Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gelehrt, dass ihr dem kommenden Zorngericht entrinnen könnt? Bringt Früchte hervor, die eure Umkehr zeigen.[4]

Wir sehen: Johannes hat eine klare Botschaft, gegründet auf das Gesetz. Er selbst hält sich streng daran, er ist – so nennen wir das heute – authentisch. Von seinen Zuhörern verlangt er viel, doch nichts, was unerfüllbar wäre. Er ist überzeugt: Wer vor Gott bestehen will, muss sich an seinen Taten messen lassen.

Ist das ein erfolgversprechendes Predigtkonzept? Die Menschen sind fasziniert: In Scharen[5] ziehen sie zu Johannes und lassen sich zum Zeichen ihrer Umkehr von ihm taufen. Und doch, obwohl so viele dem Ruf des Johannes folgen, bleibt bei mir eine gewisse Skepsis. Wie nachhaltig ist ihre Umkehr? Wir kennen das doch alle: An Silvester haben wir gute Vorsätze, was wir im neuen Jahr besser machen wollen: Mehr Sport. Weniger Essen. Mehr Zeit für uns, die Partnerin oder die Kinder. Ein soziales Engagement. Oft ist von diesen Vorsätzen schon am 15. Januar nicht mehr viel übrig.

Jesus predigt anders. Er sagt den Menschen nicht in erster Linie, wie sie sich zu verhalten haben – stattdessen erzählt er ihnen Geschichten, wie Gott ist. „Mit dem Himmelreich ist es wie …“,[6] so beginnen viele seiner Gleichnisse. Er vermittelt den Menschen mit allem, was er sagt und tut, dass sie Gottes Kinder sind: einmalig, unendlich wertvoll, von Gott geliebt. Niemand ist von dieser Liebe ausgeschlossen: Die Zöllner nicht und die Ehebrecher nicht, die Kranken nicht und Besessenen nicht, die Verbrecher nicht und die Bettler nicht. In Jesu Nähe können sie alle die Erfahrung machen, von Gott bedingungslos geliebt zu sein. Und diese Erfahrung ist es, die sie heilt und ihr Leben gelingen lässt. Denn Menschen fehlt es in aller Regel nicht an guten Vorsätzen – meistens fehlt es ihnen an Liebe.

Wer predigt heute wie Johannes? Mir fallen dazu eine ganze Menge Namen ein, Einzelpersonen und Institutionen. Greenpeace etwa fordert uns auf, die Schöpfung zu achten und zu bewahren. Pro Asyl erinnert uns daran, dass Geflüchtete nicht gesichtslose Nummern sind, sondern Menschen mit einem je individuellen Schicksal.[7] Mahatma Gandhi ist bis heute ein Vorbild für gewaltlosen Widerstand. Und Nelson Mandela lehrt uns, dass es ohne Wahrheit keine Versöhnung geben kann. Die Liste der Beispiele ließe sich – Gott sei Dank! – fortsetzen. Sie alle predigen mehr durch ihr Handeln als durch ihre Worte – und sind damit authentisch.

Und wer predigt heute wie Jesus? Die Antwort ist klar: Niemand. Niemand kann es dem Herrn gleichtun. Und doch sind wir Christen gerufen, es wenigstens zu versuchen, täglich neu, bruchstückhaft und mehr durch unser Handeln als durch unsere Worte. Je mehr wir uns an Jesus orientieren, desto mehr werden die Menschen spüren, was sie sind: Gottes Kinder, unendlich wertvoll, von Gott geliebt. Diese Erfahrung ist es, die sie heilt und ihr Leben gelingen lässt. Denn Menschen fehlt es in aller Regel nicht an guten Vorsätzen – meistens fehlt es ihnen an Liebe.

Amen.

[1] aus: Willy Hoffsümmer, Kurzgeschichten 3, Mainz 1990, 4. Auflage, Seite 59

[2] Lk 3,10-14

[3] Mt 3,4

[4] Lk 3,7-8

[5] vgl. Mt 3,5

[6] vgl. Mt 13,24; Mt 13,31; Mt 13,33; Mt 13,44; Mt 13,45; Mt 13,47; Mt 13,28; Mt 20,1; Mt 22,2

[7] Entsprechend lautet der Slogan von Pro Asyl: „Der Einzelfall zählt.“

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