Predigt zum 3. Sonntag der Osterzeit A

von Diakon Tobias Riedel

Evangelium: Johannes 21, 1-14

1 In jener Zeit offenbarte sich Jesus den Jüngern noch einmal, am See von Tibérias, und er offenbarte sich in folgender Weise.

2 Simon Petrus, Thomas, genannt Dídymus, Natánaël aus Kana in Galiläa, die Söhne des Zebedäus und zwei andere von seinen Jüngern waren zusammen.

3 Simon Petrus sagte zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sagten zu ihm: Wir kommen auch mit. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot. Aber in dieser Nacht fingen sie nichts.

4 Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer. Doch die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war.

5 Jesus sagte zu ihnen: Meine Kinder, habt ihr keinen Fisch zu essen? Sie antworteten ihm: Nein.

6 Er aber sagte zu ihnen: Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus und ihr werdet etwas finden. Sie warfen das Netz aus und konnten es nicht wieder einholen, so voller Fische war es.

7 Da sagte der Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr sei, gürtete er sich das Obergewand um, weil er nackt war, und sprang in den See.

8 Dann kamen die anderen Jünger mit dem Boot – sie waren nämlich nicht weit vom Land entfernt, nur etwa zweihundert Ellen – und zogen das Netz mit den Fischen hinter sich her.

9 Als sie an Land gingen, sahen sie am Boden ein Kohlenfeuer und darauf Fisch und Brot liegen.

10 Jesus sagte zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt!

11 Da stieg Simon Petrus ans Ufer und zog das Netz an Land. Es war mit hundertdreiundfünfzig großen Fischen gefüllt, und obwohl es so viele waren, zerriss das Netz nicht.

12 Jesus sagte zu ihnen: Kommt her und esst! Keiner von den Jüngern wagte ihn zu befragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war.

13 Jesus trat heran, nahm das Brot und gab es ihnen, ebenso den Fisch.

14 Dies war schon das dritte Mal, dass Jesus sich den Jüngern offenbarte, seit er von den Toten auferstanden war.

 

Predigt

Liebe Schwestern und liebe Brüder!

Das heutige Evangelium handelt nicht nur von der Begegnung der Jünger mit Jesus damals, vor knapp zweitausend Jahren, am See von Tiberias. Nein, dieses Evangelium ereignet sich immer wieder, zu allen Zeiten und an allen Orten, wenn Menschen Jesus begegnen. In der heutigen Predigt möchte ich den Text mit Ihnen gemeinsam durchgehen und werde versuchen, Ihnen diese Sichtweise näher zu bringen.

Sieben Jünger sind am Ufer des Sees versammelt. Der Evangelist macht sich die Mühe, fünf von ihnen namentlich zu nennen: Petrus, Thomas, Natanaël und die Söhne des Zebedäus, also Johannes und Jakobus. Und dann sind da noch zwei andere. Weshalb bleiben sie namenlos, werden aber trotzdem ausdrücklich erwähnt? Kennt der Evangelist die Namen nicht? Ist es Nachlässigkeit? Nein, ich bin sicher, dass Johannes der Gruppe mit voller Absicht zwei namenlose Jünger hinzugesellt: Das sind wir. Sie heißen Carolin oder Anke, Klaus oder Hans Peter oder was weiß ich wie – wir alle dürfen uns jetzt in Gedanken zu dieser kleinen Jüngergruppe hinzugesellen, die da am Seeufer steht.

„Ich gehe fischen“[1], sagt Petrus. Also gut. Gehen wir mit! Wir alle. Steigen wir in das Boot und fahren wir auf den See hinaus! Es wird schon dunkel.

Die Jünger damals wussten, was sie tun. Sie kannten sich wie alle Bewohner rund um den See Genezareth mit dem Fischfang aus. Sicherlich hatten sie auch eine brauchbare Ausrüstung und ein vernünftiges Boot. Und sie wussten: Gefischt wird in der Nacht. Dann steigen die Fische an die Wasseroberfläche, erreichbar für die Netze. Und dennoch: „In dieser Nacht fingen sie nichts.“[2] Trotz all ihrer Kenntnis, ihrer Bemühung, ihrer Anstrengung.

Stellen wir uns das Bild noch einmal vor: Die Jünger bei dunkler Nacht auf dem bodenlosen See. Es ist ein Seelenbild, meine ich. Wie viele Menschen empfinden ihr Leben genau so: Dunkel. Man sieht die Hand vor Augen nicht. Das Wasser trägt nicht. Ein falscher Schritt, und man versinkt in der Tiefe. Angst macht sich breit. Weshalb bin ich überhaupt hier, bei Nacht auf dem See? Oder anders gefragt: Weshalb ist mein Leben so, wie es ist? Voller Dunkelheit, voller Gefährdung, voller Angst … Irgendein Petrus hat mir gesagt, was zu tun ist. Meine Idee war das nicht. Fremdbestimmung statt Freiheit.

Doch auch die dunkelste Nacht geht vorüber. Irgendwann dämmert es. Der Himmel im Osten färbt sich hell. Erst werden Umrisse erkennbar, dann Konturen, schließlich kommen die Farben hinzu. Aus grau wird bunt. Die Sonne geht auf.

Auch dieses Bild ist ein Seelenbild. Irgendwann fällt Licht in unser Leben und vertreibt die Dunkelheit. Wir sehen wieder einen Sinn, können uns orientieren, unser Weg wird sichtbar. Ich wünsche allen Menschen, dass sie diese Erfahrung schon zu Lebzeiten machen dürfen – spätestens im Moment unseres Todes wird es so weit sein.

Woher kommt dieses Licht? Es ist das Licht des Ostermorgens, es ist Christus selbst. Vielen Menschen ist das nicht bewusst, dass ER es ist, der dem Leben aller Menschen Sinn und Richtung gibt. Auch den Jüngern im heutigen Evangelium ist das zunächst nicht klar: „Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer. Doch die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war.“[3]

Wenn Licht in unser Leben fällt, ist das wunderbar – doch mitunter tut es auch weh. Licht schafft Klarheit. Es wird deutlich, was in unserem Leben gelungen ist – und was nicht. Was von Liebe geleitet[4] war – und was von Angst. Auch diesen Aspekt spart das heutige Evangelium nicht aus. Jesus fragt: „Meine Kinder, habt ihr nicht etwas zu essen?“[5] Die Antwort der Jünger ist so ehrlich wie ernüchternd. Sie haben nichts, was nährt – ihre Taschen sind leer.

Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass es uns genauso geht. Wenn Jesus uns fragen würde, „habt ihr nicht etwas zu essen?“, was könnten wir schon vorweisen? All unserer Kenntnis, unserer Bemühung, unserer Anstrengung zum Trotz ist das so: Aus uns heraus haben wir nichts anzubieten, was unser Leben nährt, was ihm Sinn und Richtung gibt.

Doch Jesus lässt uns nicht verhungern. Wir müssen auch selber etwas beitragen, wir müssen selber fischen – doch Jesus sagt uns wo und wie. „Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus, [am helllichten Tag,] und ihr werdet etwas fangen.“[6] Und so geschieht es: Einhundertdreiundfünfzig große Fische zappeln im Netz – genug für alle. Für lange Zeit. Leben in Fülle.

Jetzt fällt der Groschen. Zuerst bei Johannes, dem „Jünger, den Jesus liebte“[7] – bei dem Jünger, der vielleicht mehr als alle anderen in Beziehung mit dem Herrn lebt.[8] Er, der Mystiker, erkennt als erster, wer da am Ufer steht: „Es ist der Herr!“[9] Kaum hat er ausgesprochen, springt Petrus schon in den See und eilt dem Ufer entgegen, Jesus entgegen. Johannes erkennt als Erster den Herrn, achtsam und sensibel – Petrus handelt als Erster, spontan und kraftvoll. So unterschiedlich sind die beiden.

Petrus springt also ins Wasser. Merkwürdig: In der Dunkelheit der Nacht macht das Wasser Angst, man könnte darin versinken – doch bei Licht betrachtet, erkennt man, dass das rettende Ufer gar nicht weit entfernt ist, nur zweihundert Ellen, das sind knapp hundert Meter. Und man erkennt, dass da einer am Ufer steht und wartet: Christus selbst.

Was meinen Sie: Wo war Jesus in der Nacht, als die Jünger auf dem See waren? Und wo ist Jesus, wenn es um uns herum oder gar in uns dunkel wird, wenn unsere Seele aufgewühlt ist und wir in den Wassern der Angst zu versinken drohen? Ich bin mir sicher: „Der Herr ist nahe!“[10] Keine zweihundert Ellen entfernt. Was für ein tröstlicher Gedanke!

Amen.

[1] Joh 21,3

[2] ebd.

[3] Joh 21,4

[4] vgl. Eph 4,15

[5] Joh 21,5

[6] Joh 21,6

[7] Joh 21,7

[8] vgl. Motiv der Johannesminne

[9] Joh 21,7

[10] Phil 4,5

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