Predigt zum Erntedanksonntag 2023

von Diakon Tobias Riedel

Düngung eines Feldes mit Gülle. Foto: Pixabay

 

Liebe Schwestern und liebe Brüder!

Wir feiern heute den Erntedanksonntag. Heute werden unsere Kirchen schön geschmückt – mit Kürbissen, Kartoffeln, Äpfeln, Trauben und vielen anderen Früchten. Doch der Erntedanksonntag im Jahr 2023 ist angesichts von Umweltzerstörung und Hungersnöten mehr als kirchliche Folklore. Es ist ein eminent politisches Fest, an dem wir auch kritischen Fragen nicht ausweichen dürfen. In meiner Predigt möchte ich Sie an drei Aspekte erinnern.

Erstens: Wer ernten möchte, muss zuvor arbeiten. Bevor das Korn gedroschen, die Traube gelesen oder die Erdbeere gepflückt werden kann, muss viel Zeit und Mühe investiert werden. Ich denke, es ist angemessen, heute all den Menschen, die weltweit in der Landwirtschaft arbeiten, danke zu sagen – sie ernähren uns alle täglich mit ihrer Hände Arbeit.

Menschliche Arbeit aber ist nicht alles. Menschen können den Boden lockern und sähen, sie können düngen und wässern, sie können Schnecken vom Salat sammeln oder die Kirschbäume mit einem Netz vor den Staren schützen – doch die Früchte wachsen und reifen lassen können sie nicht. Hier kommt Gott ins Spiel. Er hat seine Schöpfung – so bekennen wir Christen – so wunderbar eingerichtet, dass Wachstum möglich ist.

Den Menschen zur Zeit Jesu war das klar, denn viele seiner Zuhörer waren Bauern. Im Gleichnis vom Wachsen der Saat[1] wird das deutlich. Jesus möchte seinen Zuhörern erklären, wie das Reich Gottes wächst – und benutzt dazu ein Bild aus der Landwirtschaft. Im 4. Kapitel des Markus-Evangeliums heißt es:

Jesus sagte: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mann Samen auf seinen Acker sät; dann schläft er und steht wieder auf, es wird Nacht und wird Tag, der Samen keimt und wächst und der Mann weiß nicht, wie. Die Erde bringt von selbst ihre Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre. Sobald aber die Frucht reif ist, legt er die Sichel an; denn die Zeit der Ernte ist da.

„Der Samen keimt und wächst und der Mann weiß nicht wie …“ Das ist es: Menschen können sähen und ernten – Gott aber lässt wachsen.[2] Das Erntedankfest hat genau hier seinen Ursprung. Es entspringt der Einsicht, dass für eine gute Ernte die menschlichen Mühe zwar notwendig, aber nicht hinreichend ist. Gott ist es, der wachsen lässt – aus Liebe zu seiner Schöpfung. Am Erntedanksonntag sagen wir ihm dafür Dank.

Zweitens: Ein kluger Landwirt möchte nicht nur in diesem Jahr etwas ernten, sondern auch im nächsten und im übernächsten. Und auch seine Kinder und Enkel, an die er eines Tages seinen Hof vererbt, sollen noch etwas zu ernten haben. Deshalb wird er seine Felder zwar nutzen, aber nicht ausbeuten. Mit einem modernen Begriff gesagt: Er wird nachhaltig wirtschaften.

Im ersten Schöpfungsbericht erhält der Mensch von Gott genau diesen Auftrag: Er soll Gottes gute Schöpfung bebauen und bewahren. Jahrhundertelang wurde dieser Vers aus dem Buch Genesis[3] leider wörtlich und dadurch irreführend übersetzt. Noch in der Einheitsübersetzung von 2016, die wir in unseren Gottesdiensten verwenden, heißt es:

„Und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die Erde und unterwerft sie [euch]“.

Eine wörtliche Übersetzung mit einer fatalen Wirkungsgeschichte! Denn sie suggeriert, dass die Schöpfung der Willkür des Menschen ausgeliefert sei. Heute wissen wir: Nach jüdischem Verständnis gehören Herrschaft und Fürsorge immer zusammen – die Könige und Fürsten im Alten Orient galten als Hirten ihres Volkes. Deshalb sollte man nicht davon sprechen, dass Gott seine Schöpfung der Herrschaft des Menschen unterwirft, sondern dass er sie seiner Fürsorge anvertraut.

Leider ist die industrielle Landwirtschaft unserer Tage davon weit entfernt: In Deutschland sind viele Böden überdüngt. Die Nitratbelastung des Grundwassers ist hoch. Pestizide werden oft im Übermaß eingesetzt. Überschwere Erntemaschinen verdichten den Boden und zerstören seine natürliche Struktur. Und durch künstliche Bewässerung sinkt der Grundwasserspiegel immer weiter. Biologisch wirtschaftende Betriebe beweisen seit Jahrzehnten, dass es auch anders geht – nachhaltig und im Einklang mit Gottes Schöpfungsauftrag.

Doch es wäre zu einfach, den konventionell wirtschaftenden Landwirten die alleinige Verantwortung für den systematischen Raubbau an unseren Lebensgrundlagen zuzuschieben. Vielmehr werden sie oft von Marktmechanismen, die mehr auf Masse als auf Qualität setzen und in der eher große Lebensmittelkonzerne als die Landwirte das Sagen haben, zu einer derartigen zerstörerischen Bewirtschaftung gezwungen. Hier ist die Politik gefragt, im Dialog mit den Landwirten eine grundlegende Wende zu organisieren. Und auch wir als Verbraucher sind in der Verantwortung: Durch unsere tägliche Kaufentscheidung für regionale, saisonale und nachhaltig erzeugte Lebensmittel hat jeder von uns die Möglichkeit, zur Bewahrung der Schöpfung beizutragen.

Drittens: Am Erntedankfest kann man der Frage nach der Gerechtigkeit nicht ausweichen. Wir alle wissen, dass der Reichtum der Erde sehr ungleich verteilt ist: Während in Europa und Nordamerika viele Menschen übergewichtig sind, leiden rund 735 Millionen Menschen weltweit Hunger, vor allem in Afrika.[4] Das Leid der Hungernden schreit zum Himmel – und wir sind aufgerufen, es zu beenden. Denn wenn wir die Ernte nicht allein unserer Arbeit, sondern vor allem Gottes Liebe verdanken, steht eben diese Ernte allen Menschen zu – denn Gott liebt alle Menschen gleichermaßen.

Auch hier sieht die Realität leider anders aus: Neokoloniale Strukturen bestehen fort. Europäische Agrarsubventionen zwingen Bauern auf der Südhalbkugel, ihr Land zu verlassen und als Tagelöhner in die Städte zu ziehen. Der Amazonas-Regenwald wird für die Produktion von Futtermitteln abgeholzt, um den Fleischhunger der Nordhalbkugel zu stillen. Viele Regierungen in Afrika und Lateinamerika lassen Good Governance vermissen. Und nicht zuletzt wird Hunger in Kriegszeiten schamlos als politisches Druckmittel, ja: als Waffe eingesetzt.

Vor allem die Politik ist gefragt, Schritt für Schritt faire multilaterale Lösungen zu suchen – ein mühsames Geschäft in Zeiten nationaler Egoismen. Doch auch jeder Einzelne ist aufgerufen, durch sein Tun und durch sein Lassen zur Gerechtigkeit zwischen Süd und Nord beizutragen. Die Eine-Welt-Initiativen in unserer Pfarrei werden nicht alle Probleme lösen – doch sie weisen immerhin in die richtige Richtung. Gott sei Dank!

Amen.

[1] Mk 4,26-29

[2] vgl. auch 1 Kor 3,6

[3] Gen 1,28

[4] Quelle [Zugriff vom 29.09.2023]

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