von Gemeindereferentin Monika Tenambergen

Evangelium: Lukas 10, 1-12.17-20
1 In jener Zeit suchte der Herr zweiundsiebzig andere aus und sandte sie zu zweit vor sich her in alle Städte und Ortschaften, in die er selbst gehen wollte. 2 Er sagte zu ihnen: Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden!
3 Geht! Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. 4 Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche und keine Schuhe! Grüßt niemanden auf dem Weg! 5 Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als Erstes: Friede diesem Haus! 6 Und wenn dort ein Sohn des Friedens wohnt, wird euer Friede auf ihm ruhen; andernfalls wird er zu euch zurückkehren.
7 Bleibt in diesem Haus, esst und trinkt, was man euch anbietet; denn wer arbeitet, ist seines Lohnes wert. Zieht nicht von einem Haus in ein anderes! 8 Wenn ihr in eine Stadt kommt und man euch aufnimmt, so esst, was man euch vorsetzt. 9 Heilt die Kranken, die dort sind, und sagt ihnen: Das Reich Gottes ist euch nahe!
10 Wenn ihr aber in eine Stadt kommt, in der man euch nicht aufnimmt, dann geht auf die Straße hinaus und ruft: 11 Selbst den Staub eurer Stadt, der an unseren Füßen klebt, lassen wir euch zurück; doch das sollt ihr wissen: Das Reich Gottes ist nahe. 12 Ich sage euch: Sodom wird es an jenem Tag erträglicher ergehen als dieser Stadt.
17 Die Zweiundsiebzig kehrten zurück und sagten voller Freude: Herr, sogar die Dämonen sind uns in deinem Namen untertan. 18 Da sagte er zu ihnen: Ich sah den Satan wie einen Blitz aus dem Himmel fallen. 19 Siehe, ich habe euch die Vollmacht gegeben, auf Schlangen und Skorpione zu treten und über die ganze Macht des Feindes. Nichts wird euch schaden können. 20 Doch freut euch nicht darüber, dass euch die Geister gehorchen, sondern freut euch darüber, dass eure Namen im Himmel verzeichnet sind!
Impuls
Vor kurzem war ich Teilnehmerin eines Studienwochenendes. Das Thema lautete: „Als Christen leben unter Gottes anderen Menschen“. Mit den anderen Menschen waren diejenigen gemeint, für die Religion überhaupt keine Rolle spielt, die nicht nur keiner Kirche angehören, auch keiner anderen Religion, sondern die durchs Leben gehen, ohne sich die Frage nach Gott oder einem höheren Wesen auch nur zu stellen. Sie sind keine Atheisten und auch keine Agnostiker. Der Referent nannte zur Illustration eine Umfrage aus dem Jahr 1999, bei der Jugendliche am Leipziger Hauptbahnhof gefragt wurden, ob sie sich eher als christlich oder als atheistisch bezeichnen würden. Die Antwort: „Weder noch, normal halt.“
Daran musste ich denken, als ich den Abschnitt aus dem Lukas-Evangelium las, der uns an diesem Sonntag von der Leseordnung vorgelegt wird und der die Sendung der Christen zum Inhalt hat. Voraus gehen ihm einige Verse über die Dringlichkeit der Nachfolge. Sie enden mit einem Zitat Jesu: „Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes.“[1] Aus meiner Sicht bedeutet das: Mit der Sendung durch Jesus beginnt etwas Neues. Es ergibt keinen Sinn, dem Vergangenen nachzuhängen. Wer beim Pflügen nach hinten schaut, zieht nur krumme und schiefe Furchen.
Auffallend finde ich: Jesus sucht zweiundsiebzig andere aus. Was sind das für andere, die Jesus aussendet? Unter ihnen sind nicht die Apostel, die hatte er schon früher auf den Weg geschickt, als er noch in Galiläa unterwegs war. Jetzt ist er auf dem Weg nach Jerusalem – und der führt ihn durch das Gebiet der „Ketzer“, durch Samarien.[2] Fromme, gläubige Juden gehen lieber weite Umwege, um nach Jerusalem zu gelangen. Doch genau in dieses Gebiet sendet er die zweiundsiebzig anderen. Vermutlich sind es Menschen, die Jesus schon einmal irgendwo reden gehört oder die erlebt haben, wie er mit anderen umgeht: mit Kranken, mit Frauen, mit Feinden, mit Ungläubigen. Sie gehören nicht zum engsten Kreis seiner Vertrauten, sind vielleicht noch nicht einmal Jünger Jesu, aber doch Sympathisanten. Er sendet sie immer zu zweit: Männer und Frauen, Freundinnen, Kollegen, Ehepaare, Geschwister. Er sendet sie als Vorboten, um sein Kommen vorzubereiten, denn sie sollen in die Städte und Ortschaften gehen, in die er selbst noch gehen will.
Jesus gibt ihnen konkrete Anweisungen mit auf den Weg: Sie sollen einkehren, wo man ihren Friedensgruß aufnimmt und ihnen mit Offenheit begegnet. Sie sollen essen, was ihnen angeboten wird. Im Klartext heißt das: Sie sollen sich über die jüdischen Speisevorschriften hinwegsetzen und stattdessen die Gastfreundschaft von Gottes anderen Menschen annehmen. Sie sollen die Kranken heilen und den Leuten sagen: Das Reich Gottes ist euch nahe! Selbst denen, die ihnen keine Gastfreundschaft gewähren, sollen sie wissen lassen: Das Reich Gottes ist nahe!
Was bedeutet dieses Evangelium für uns heute? Für mich unter anderem dies:
Erstens: Ich schaue nicht mit nostalgischem Blick zurück in die Vergangenheit, als die Kirchen noch voll waren und wir es so schön miteinander hatten. Die gesellschaftliche Entwicklung lässt sich nicht zurückdrehen.
Zweitens: Ich weiß: Ich bin gesandt. Unsere Gottesdienste enden in aller Regel mit dem Ruf „Gehet hin in Frieden“. Gemeint ist nicht: Geht nach Hause und seid nett zueinander, sondern: Ihr seid gesendet, und zwar zu allen Menschen, denen ihr im Alltag begegnet – ob am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft, im Freundeskreis, im Einkaufszentrum oder im Krankenhaus …
Drittens: Ich bin neugierig auf Gottes andere Menschen. Ich interessiere mich für sie, höre ihnen zu, begegne ihnen auf Augenhöhe in dem Bewusstsein, dass ich von ihnen lernen kann. In der Auseinandersetzung mit ihnen kann mir mein eigener Glaube klarer werden und an Tiefe gewinnen.
Viertens: Ich vertraue auf das Wirken des Heiligen Geistes in Gottes anderen Menschen ebenso wie in den Getauften.
Und Fünftens: Ich suche Gottes Reich und seine Gegenwart nicht in erster Linie im binnenkirchlichen Raum, etwa in unseren Gemeinden, sondern mitten in der Welt, mitten im Leben, mitten im Alltag.
Am Ende des Tages kehren die Zweiundsiebzig zu Jesus zurück. Sie berichten voll Freude über ihre Erfahrungen, die sie unter Gottes anderen Menschen machen durften. Sie haben gespürt: Das Reich Gottes ist wirklich nahe. Gott selbst baut es – und wir dürfen daran mitbauen.
[1] Lk 9,62
[2] https://www.die-bibel.de/ressourcen/basisbibel/voelker-und-reiche/samarien-samariter-2