Glück – Eine Frage der Perspektive

Mitten in der schönsten Zeit des Jahres, wenn die meisten Menschen unbeschwerte Ferientage und Sommerglück genießen möchten, werden wir an diesem Sonntag mit einer unmissverständlichen und absoluten Botschaft konfrontiert: Alles ist Windhauch! Alles ist Windhauch! Das ist alles Windhauch!

Was für ein pessimistischer Blick auf die Welt und auf den Menschen! Ich frage mich, in welcher Situation befindet sich Kohelet, dass er zu dieser Feststellung kommt, die sich im ganzen Buch durchgängig wiederholt, insgesamt 37 Mal und genauso oft wie das Wort „Gott“.

Kohelet, der Prediger, sucht eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Was ist Glück? Wo und wie finde ich Glück? Und ist es falsch, danach zu streben?

Er ist ein Beobachter der Welt um ihn herum, sieht wie alles seine Bahnen läuft, der Kosmos, die Natur, die Menschen, wie sie leben, sich abmühen. Er tritt mit sich selbst in einen inneren Dialog über das, was er beobachtet. In seiner Vorstellung schlüpft er in die Rolle eines Königs und reflektiert über das, was er selbst ausprobiert hat. Er lebt das Leben mit vollen Zügen aus, experimentiert, sucht nach dem Glück, jagt ihm regelrecht nach, nur um am Ende festzustellen, dass alles selbstgeschaffene Glück keinen Gewinn bringt. Sobald ein Moment des Glücks erreicht ist, vergeht er auch schon wieder und die Suche beginnt von vorn. Wissen, Macht, Einfluss, Nachkommen, Reichtum, all das, womit Menschen ihren Nachruhm sichern wollen, hat keinen Bestand. Alles ist Windhauch und der Vergänglichkeit unterworfen!

Was ist Glück? Was würden Sie antworten, würde Ihnen jemand jetzt, mitten im Urlaub, beim Shoppen in der Fußgängerzone oder beim Spielen am Strand diese Frage stellen?

In einem Aufsatz des evangelischen Theologen Kim Strübind zum Buch Kohelet fand ich interessante Antworten. [1] Er unterscheidet drei verschiedene Sichtweisen auf das Glück.

1. Glück gehabt
„Glück kann einerseits das unverhofft und unverdient Empfangene sein, wie das Glück in der Lotterie oder der glückliche Umstand, der ungeplant und unkalkulierbar ins Leben tritt. Diese Art von Glück zeichnet sich durch emotionale Gipfelerfahrungen, aber auch durch Flüchtigkeit und Zufälligkeit aus. ‚Glück gehabt‘, sagt man, wenn man es erfährt. Bereits die Perfektform verweist auf Flüchtigkeit und auf das Punktuelle dieser Art von Glück.“

2. Lebensglück
„Es zeichnet sich nicht durch ein Aufflackern der Freude oder durch magische Momente, sondern durch Kontinuität aus. Es ist die wesentlich seltenere Erfahrung gegenüber dem spontanen, also dem ‚gehabten‘ Glück. Als permanentes Glück wird etwa die gelungene Partnerschaft betrachtet, die sich durch Stabilität, anhaltende Zuneigung und wechselseitige Solidarität ausweist; oder die richtige Wahl des Berufes, der Arbeitsstelle, eine angemessene Vergütung oder die Erfahrung, am richtigen Ort zu leben.“

Diesen ersten beiden Umschreibungen des Glücks kann sicher jeder zustimmen, aber die dritte hat es ganz schön in sich. Der Autor nennt es das rezeptive Glück.

3. Das rezeptive Glück
„Glücklich kann nur sein, wer sich auf die Ästhetik des ‚Empfangens‘ versteht und das Glück des Augenblicks durch den Filter der Souveränität Gottes und seiner Absichten ‚gottesfürchtig‘ entdeckt. Maßstab des Glücks sind also nicht mehr die eigenen (illusionären) Erwartungen an das Leben, sondern das jedem Leben inhärente Glücks-Potenzial, das seine Grenze und seine Möglichkeiten aus dem schöpft, was gegeben und nicht zu ändern ist.“

Wer das Buch Kohelet liest, wird im ersten Moment immer wieder konfrontiert mit der Windhauch-Metapher. Dieses Motiv ist so eindrücklich und stark, dass es fast den Blick auf den anderen Aspekt versperrt, den dieses Buch ebenfalls durchzieht, nämlich immer wieder die Aufforderung, das Leben zu genießen, dies jedoch stets in dem Bewusstsein, dass alles, was einem Menschen widerfährt, ihm aus Gottes Hand gegeben ist.

Ob der Mensch sein Glück findet, ist also alles eine Frage der Perspektive.

Wer versucht, seines eigenen Glückes Schmied zu sein, wird sich selbst enttäuschen. Alles selbstgeschaffene Glück dauert nur einen Augenblick. Glück ist eben nicht machbar, sondern nur als Gabe und Geschenk zu empfangen.

Um noch einmal Kim Strübind zu zitieren: „Kohelets Glückslehre besteht in der immer wiederkehrenden Aufforderung, die Lebensrealitäten aus Gottes Hand zu empfangen. Dies gilt buchstäblich für alles, was einem Menschen in seinem Leben widerfährt: ‚Am Tag des Glücks sei guter Dinge. Und am Tag des Unglücks bedenke: Diesen hat Gott ebenso wie jenen gemacht‘ (Koh 7,14).“

Die Chance des Menschen, glücklich zu sein, besteht für Kohelet also darin, sich in Ehrfurcht der göttlichen Wirklichkeit zu öffnen. Dann erfährt der Mensch sich als beschenktes und empfangendes Wesen. Das Glück kann demnach in jedem Augenblick erfahren werden, wenn wir ihn dankbar aus Gottes Hand entgegennehmen.

Und was noch schöner ist: Gott gönnt uns das Glück und die Freude des Augenblicks. In Kohelet 9,7-9 heißt es:

„Iss freudig dein Brot und trink vergnügt deinen Wein; denn das, was du tust, hat Gott längst so festgelegt, wie es ihm gefiel. Trag jederzeit frische Kleider und nie fehle duftendes Öl auf deinem Haupt! Mit einer Frau, die du liebst, genieß das Leben alle Tage deines Lebens voll Windhauch, die er dir unter der Sonne geschenkt hat, alle deine Tage voll Windhauch.“

So gesehen ist der heutige Lesungstext vielleicht genau richtig für die Urlaubszeit. Es ist eben alles eine Frage der Perspektive.

Zum Schluss noch ein Tipp. Vielleicht finden Sie ja in den Ferien eine Stunde Zeit für ein ganz besonderes Hörbuch. Das Buch Kohelet wurde von Schauspielerin Ulrike Kriener wunderbar einfühlsam gelesen und mit zauberhafter, orientalisch anmutender Musik der Gruppe Quadro Nuevo umrahmt. Hier eine Hörprobe. Erschienen ist das Buch mit Audio-CD im Patmos Verlag. Die Lesung hören Sie auch auf Spotify.

[1] Kim Strübind: Kohelet und das Glück des Augenblicks
Erschienen in: Zeitschrift für Theologie und Gemeinde, S. 155-173, als Download erhältlich bei www.academia.edu

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