Lesejahr C | von Pastor Stefan Krinke
Evangelium: Lk 15,1-10
In jener Zeit kamen alle Zöllner und Sünder zu Jesus, um ihn zu hören. Die Pharisäer und die Schriftgelehrten empörten sich darüber und sagten: Dieser nimmt Sünder auf und isst mit ihnen. Da erzählte er ihnen dieses Gleichnis und sagte: Wenn einer von euch hundert Schafe hat und eins davon verliert, lässt er dann nicht die neunundneunzig in der Wüste zurück und geht dem verlorenen nach, bis er es findet? Und wenn er es gefunden hat, nimmt er es voll Freude auf die Schultern, und wenn er nach Hause kommt, ruft er die Freunde und Nachbarn zusammen und sagt zu ihnen: Freut euch mit mir, denn ich habe mein Schaf wiedergefunden, das verloren war! Ich sage euch: Ebenso wird im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die keine Umkehr nötig haben. Oder wenn eine Frau zehn Drachmen hat und eine davon verliert, zündet sie dann nicht eine Lampe an, fegt das Haus und sucht sorgfältig, bis sie die Drachme findet? Und wenn sie diese gefunden hat, ruft sie die Freundinnen und Nachbarinnen zusammen und sagt: Freut euch mit mir, denn ich habe die Drachme wiedergefunden, die ich verloren hatte! Ebenso, sage ich euch, herrscht bei den Engeln Gottes Freude über einen einzigen Sünder, der umkehrt.
Predigt: Dem Verlorenen nachgehen, finden, sich freuen und feiern!
Liebe Schwestern und Brüder,
Jesus redet in den Gleichnissen von der realen Welt. Er nimmt Beispiele des Lebens, deckt damit aber Hintergründiges auf. Er spricht vom Sämann und vom Unkraut, vom Feigenbaum und Fischnetz, vom entlaufenen Schaf und dem verlorenen Geldstück. In alledem will er die Geheimnisse des Reiches Gottes, wie sie sich in irdischen Vorgängen abzeichnen, erkennbar werden lassen.
Ich stelle mir diese Frau vor, die verzweifelt nach ihrer Drachme sucht. Mit einem Reisigbesen fegt sie den festgestampften Lehmboden ihrer kleinen, vielleicht fensterlosen Behausung. Sie hat eine kleine Silbermünze verloren, vielleicht aus ihrem Brautschmuck, den sie an einer Kette um den Hals trägt. Es ist ein herber Verlust, und ihr ist viel an dem kleinen Geldstück gelegen. – Umso größer die Freude, als sie ein Klimpern hört und den Verlust in den Händen hält. Aber deswegen gleich ein Fest? Wer begreift solch einen orientalischen Überschwang?
Jesus begreift ihn. Die Frau liebt dieses Erinnerungsstück heiß und innig. Es bedeutet ihr sehr viel. Die Liebe tut so etwas.
Jesus sieht an dieser erzählten Wirklichkeit – so wie es hunderte Male geschehen mag – das Verhalten seines himmlischen Vaters aufleuchten. Er, Gott, liebt sein Geschöpf heiß und innig. Er steht zu ihm. Wenn es verunglückt oder verloren gegangen ist, fängt er an zu suchen. Und er setzt alles dran. Die Liebe ist immer dort am größten, wo sie sich sorgen muss. Deshalb geht er dem Verlorenen nach und er gibt nicht auf. Gott trennt sich nicht von den Menschen, die sich verirrt haben.
Wir dürfen, uns zu liebe, die Geschichten, die Jesus erzählt, ins Herz schließen. Denn vielfach kennen wir die Geschichten eher so:
- Ein Mann hatte 100 Schafe. Als eins verloren ging, füllte er einen Beleg für die „Anlagenbuchhaltung“ aus. In der Bilanz standen am 31.12.: 99 Schafe. Was aus dem einen geworden ist? Nichts weiter – es wurde abgeschrieben. Zu feiern gab es nichts.
- Oder: Eine Frau hatte 10 Drachmen. Eine verlor sie. Obwohl das viel Geld für sie war, begann sie nicht zu suchen, sondern sagte zu sich: „Ich muss immer nur einstecken. Mir ist nichts gegönnt. Ich verliere immer!“ – So hörte man sie ständig klagen. Aber ihre Nachbarinnen konnten die alte Leier nicht mehr hören. Zu feiern gab es nichts.
- Ein Mann bemerkte, wie ihm seine Partnerin immer fremder wurde. Er verstand nicht, was sie wollte, er nahm auch nicht wahr, was sie nicht sagte. Als ihm die Beziehung zu stressig wurde, verabschiedete er sich. Die Mühe, auf die Suche zu gehen, kam ihm nicht in den Sinn. Zu feiern gab es nichts.
Das sind gelegentlich unsere Erfahrungen – und bisweilen unsere Worte: Wir schreiben etwas ab, wir geben etwas verloren, wir finden uns ab und suchen nicht.
Sind wir wirklich so? Ich denke, diese Sichtweise macht uns kleiner als wir sind. Wir wissen eigentlich genau: wir könnten mehr finden, mehr entdecken – wenn wir Ermutigung dazu erhalten, das gute Beispiel erleben, Gleichgesinnte an der Seite spüren – und gemeinsam etwas zu feiern hätten!
An diesem Sonntag ist das in besonderer Weise möglich. Etliche machen sich auf zur Ansverus-Wallfahrt nach Einhaus bei Ratzeburg. Wir sind Suchende, Betende, Erzählende auf den verschiedenen Wegen, die uns dann zum gemeinsamen Feiern am Ansveruskreuz zusammenführen. Das macht mir Mut, genauso wie die Geschichten, die Jesus erzählt. Sie zeigen irgendwie ganz schlicht und selbstverständlich Menschen, die suchen, in der Gewissheit, dass es nicht vergeblich ist. So sind es zwei kleine Geschichten vom großen Glück, die bis heute noch nicht zu Ende erzählt sind. Wir dürfen sie fortschreiben.
Amen.
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